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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Autoren: Wolfgang Burger
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Eltern: die Ungewissheit.
     
    »Was soll das?«, brüllte der Professor mit rotem Kopf, als er zehn Schritte von mir entfernt war. »Wollen Sie mich verarschen, oder was?«
    Er brauchte noch einige Sekunden, bis er schwer atmend vor mir stand.
    »Ein Hund!«, blaffte er. »Da unten hat einer seinen toten Hund verbuddelt! Das sieht doch jeder halbwegs intelligente Mensch, dass das keine Kinderknochen sind! Und für so einen Quatsch lassen Sie mich durch den halben Odenwald gurken und meinen Lack ruinieren?«
    Klara Vangelis stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Vermutlich dachte sie dasselbe wie ich: Lieber tausend Hundegräber als ein einziges für ein Kind. Lieber das Gespött der Boulevardpresse, als am Tod eines Jungen mitschuldig zu sein, der vor wenigen Wochen seinen ersten Schultag hätte erleben sollen.
    Ich hätte den wutschnaubenden Professor am liebsten an mich gedrückt. Plötzlich war wieder Hoffnung. Wahrscheinlichkeit nicht, aber Hoffnung. Es hatte Fälle gegeben, da waren Kinder nach Monaten oder Jahren wieder aufgetaucht. Selten, ja, aber es hatte sie gegeben.
    Solange wir Gundrams Leiche nicht hatten, war noch alles möglich.

2
    Natascha Sander, geborene Dobroljubowa, gab noch am selben Abend in der üblichen, perfekt dosierten Mischung aus Verzweiflung, Empörung und Erleichterung ein Fernsehinterview. Einmal mehr wurde die Frage gestellt, ob bei der hiesigen Polizei die richtigen Leute an den wichtigen Stellen säßen. Ob es nicht an der Zeit wäre, den einen oder anderen verantwortlichen Herrn gegen jemanden auszutauschen, der seiner Aufgabe besser gewachsen war.
    Mehr aus Pflichtgefühl als aus Interesse hatte ich die Flimmerkiste eingeschaltet und hörte mir an, wie ich, meine Leute und unsere Arbeit schlechtgeredet wurden. In ihrem Schlussstatement erklärte die schöne Mutter mit großen Augen, sie und ihr Mann hätten das Vertrauen in die Behörden nun endgültig verloren. Man würde ab sofort die Zusammenarbeit mit der Polizei verweigern und auf eigene Faust Nachforschungen anstellen. Wer sachdienliche Hinweise zu machen habe, möge sich bitte über die eingeblendete Telefonnummer an sie wenden. Ich notierte die Nummer auf dem Rand der Zeitung.
    Gundrams Eltern spielten die Klaviatur der Medien perfekt. Schon am dritten Tag hatte es eine Internetseite gegeben: »Rettet unser Kind!«, die es bald auf tausend Klicks am Tag brachte. Mike Sander konnte es sich offenbar erlauben, seine Firma vorübergehend im Stich zu lassen und sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie auf die Rettung seines Sohnes zu stürzen.
    Seine Frau, vor Jahren einmal beinahe zur Miss Sankt Petersburg gekürt, wie man bald in jeder Zeitung lesen durfte, hatte bis zur Geburt ihres Kindes ebenfalls in der Werbebranche gearbeitet. Als ehemaliges Fotomodel den kalten Blick der Kameras gewohnt, unterstützte sie ihren Mann nach Kräften. Das eine Mal gab sie die verzweifelt um Fassung ringende Mutter in kühlem Grau, dann wieder die flammend Empörte in apartem Bordeauxrot. Einmal brach sie telegen schluchzend zusammen, ein anderes Mal setzte sie mit steinerner Miene und nur ganz leicht bebender Stimme eine Belohnung von fünfzigtausend Euro aus für denjenigen, der ihr geliebtes Kind zurückbrachte. Zumindest in einem Punkt hatten die Eltern erreicht, was sie wollten: Nie zuvor war die Heidelberger Polizei einem Fall mit mehr Aufwand und Personal nachgegangen. Und nie zuvor hatte es auch nur halb so viele aufgeregte Anrufe, anonyme Hinweise, abstruse Zeugenaussagen, irrwitzige Selbstanzeigen und getürkte Lösegeldforderungen gegeben. Bald hatten wir aufgehört, sie zu zählen, all die Gundrams, die angeblich in Eppelheim oder Verona, auf Mallorca, Zypern oder Hawaii gesichtet worden waren. All die Zeugen, die nächtliche Kinderschreie im Nachbarhaus gehört haben wollten, wo dieser unsympathische Kerl hauste, der niemals duschte und dafür umso mehr trank. Die Zahl der vermeintlichen Kindesentführungen war in ungeahnte Höhen geschnellt. Eltern wählten schon die Hundertzehn, wenn sie ihren Sprössling länger als zehn Minuten nicht mehr gesehen hatten. Und niemand unter meinen Leuten wagte noch, irgendetwas davon auf die leichte Schulter zu nehmen.
     
    Mike Sander hatte während des Fernsehauftritts mit finster entschlossener Miene schräg hinter seiner schönen Frau gestanden, die Rechte auf ihre schmale Schulter gelegt, als müsste er sie stützen oder ihr Mut machen.
    Nun trat er vor und verlas mit
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