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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Autoren: Wolfgang Burger
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tonloser Stimme eine Erklärung: »Wir haben beschlossen, die ausgesetzte Belohnung noch einmal zu erhöhen. Wer uns, gleichgültig auf welchem Wege, unseren Sohn zurückbringt, erhält von uns eine Million Euro.« Er faltete das Blatt sorgfältig zusammen, von dem er die paar Worte abgelesen hatte, und blickte dann direkt in die Kamera. »Das ist alles, was wir aufbringen können. Mehr haben wir nicht. Wir werden unser Haus verkaufen müssen und unsere Firma. Aber das Leben Gundrams ist uns mehr wert als alles andere.«
    Er senkte den Blick, und ich dachte schon, das wäre alles gewesen. Da sah er noch einmal auf und fügte mit rauer Stimme hinzu: »Dieses Angebot gilt übrigens auch für den Täter selbst. Wir werden Sie nicht anzeigen. Wir wollen Ihren Namen nicht wissen und nicht die Gründe für Ihr Tun. Wir wollen keine Rache. Wir wollen nur eines: unser Kind zurück.«
    Ich schaltete den Fernseher aus und legte die Füße auf den Couchtisch. Am nächsten Morgen würde die Hölle über mich hereinbrechen. Nicht wenige Menschen würden für eine Million ohne zu zögern ihre Mutter ins Gefängnis oder ihren Großvater ins Grab schicken.
    Eigentlich hätte ich jetzt gar nicht zu Hause sitzen und mich ärgern, sondern neben Theresa liegen sollen, meiner Geliebten. Dienstag war unser Tag. Heute hatte meine Göttin jedoch überraschend abgesagt. Sie hatte nicht einmal Zeit gefunden für Erklärungen. Ihre knappe SMS hatte nervös geklungen, als bahnte sich ein Problem an. Ich konnte nur hoffen, dass die plötzliche Aufregung nichts mit der Tatsache zu tun hatte, dass sie verheiratet war.
    Ich nahm das oberste Buch vom Stapel, der auf dem Couchtisch lag, und versuchte, ein wenig zu lesen. Theresa hatte mir schon vor Monaten Albert Camus ans Herz gelegt und mir alles geliehen, was sie von ihm besaß. Außer »Die Pest« hatte ich zuvor nichts von ihm gelesen. Camus war ein hartes Brot, hatte ich bald festgestellt. Ein Viertel fand ich genial, drei Viertel unverständlich.
    Plötzlich hörte ich aufgekratzte Mädchenstimmen im Treppenhaus, ein Schlüssel wurde ins Schloss geschoben, die Wohnungstür flog auf.
    Ich nahm die Füße vom Tisch.
    Meine Zwillinge wirbelten herein, küssten mich achtlos links und rechts auf die Wangen, »Abend, Paps«, und plumpsten atemlos in die Sessel.
    Ich klappte das Buch zu.
    »Ihr wart bei Silke?«
    »Hm.«
    »Und habt Französisch gelernt?«
    Ihr Nicken geriet nicht ganz überzeugend.
    »Ihr müsst das ernster nehmen, Kinder.«
    »Wie sind keine Kinder mehr!«
    »In der ersten Arbeit habt ihr eine Sechs geschrieben. Demnächst schreibt ihr die zweite. Und wenn das so weitergeht …«
    »Ja, ist ja gut!«
    »Wir haben ja auch gelernt.«
    »Echt! Ganz ehrlich!«
    Sie hatten etwas auf dem Herzen. Wäre es nicht so gewesen, dann wären sie längst in ihrem Zimmer verschwunden, an den neuen PC. Der stand dort erst seit wenigen Wochen, seit ihrem fünfzehnten Geburtstag, und in beängstigend kurzer Zeit hatte das Gerät sich zum Lebensmittelpunkt meiner Töchter entwickelt. Nahezu jeden Abend hockten sie davor und kicherten und alberten und schienen sich dabei so prächtig zu amüsieren, dass mir von Tag zu Tag mulmiger wurde.
    »Paps«, fing Louise an. »Stell dir vor, es ist schon wieder ein Kind entführt worden!«
    »Fangt ihr jetzt auch noch mit dem Unsinn an? Eine Kindesentführung reicht mir vollkommen.«
    »Hab ich’s nicht gesagt?« Sarah warf Louise einen vielsagenden Blick zu. »Er schimpft.«
    »Ich schimpfe nicht«, widersprach ich. »Ich kann das Wort Entführung nur nicht mehr hören.«
    »Du bist in letzter Zeit so …« Louise traute sich plötzlich nicht weiter.
    »Nervös bist du«, vervollständigte Sarah ihren Satz kühl. »Richtig total nervös.«
    Louise zwirbelte eine Strähne ihres langen, gerstenblonden Haars um den Zeigefinger.
    Ich atmete zweimal tief durch. »Mädels, ihr habt keine Ahnung, was bei uns zurzeit los ist. Fast jeden Tag gibt es neue Entführungen. Heute Vormittag zum Beispiel, da hatte ich wieder mal so eine völlig verzweifelte Mutter am Telefon. Sie hat ihre kleine Tochter vermisst. Das Mädchen ist keine drei Jahre alt, und überall hatte sie schon gesucht. Im Garten, im ganzen Haus, auf der Straße, einfach überall. Natürlich habe ich sofort eine Streife losgeschickt. Und wisst ihr, wo die Kollegen das Kind dann am Ende gefunden haben?«
    Meine Töchter sahen mich mit runden Augen an.
    »Es hat die ganze Zeit keine fünf Meter vom Telefon
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