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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Autoren: Wolfgang Burger
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bewusst, dass mein Wagen beim Kindergarten stand und ich den ganzen Weg zurück zu Fuß gehen musste.
     
    Am Empfangstresen der Praxis begrüßte mich ein empörtes Rauschgoldengelchen in frisch gestärktem weißem Kittel und mit rosafarbenen Segeltuchschuhen an den Füßen.
    »Der Herr Professor empfängt eigentlich Patienten ohne Termin nur im Notfall. Sind Sie denn ein Notfall?«
    Ihre großen graublauen Augen musterten mich von oben bis unten auf der Suche nach Blutflecken oder Spuren von Gewaltanwendung. Ihr Make-up war dezent, das wild kringelnde Haar vermutlich frisch vom Stylisten.
    Ich schob ein Visitenkärtchen über den blank polierten Tresen aus dunklem Granit, und ihre Augen wurden noch eine Spur größer.
    »Vielleicht macht der Herr Professor bei mir ja eine Ausnahme?«
    Sie duftete nach Röschen, die ich mir unwillkürlich in der Farbe ihrer Schuhe vorstellte.
    »Kripo?« Ihre Stimme klang plötzlich ratlos. »Wieso denn Kripo?«
    »Das würde ich Ihrem Chef gern selbst sagen«, erwiderte ich liebenswürdig.
     
    Fünfzehn Minuten später saß ich Professor Schaaf gegenüber. Niemand hatte in der Zwischenzeit seinen saalähnlichen Behandlungsraum betreten oder verlassen. Vermutlich gehörte es einfach zum Stil des Hauses, dass man nicht sofort vorgelassen wurde. Die Stimme des großen Mannes war angenehm ruhig und voller mitfühlender Zuversicht. Der herzliche Händedruck reichte bei manchem Patienten vermutlich schon aus, ihn auf den Weg der Besserung zu bringen. Bereits in der ersten Sekunde hatte ich das angenehme Gefühl, dass der teuerste Arzt weit und breit immerhin sein Handwerk verstand. Sein volles weißes Haar wirkte wie getönt.
    »Um die Sanders geht es«, sagte er mit strahlendem Lächeln, nachdem ich ihm in wenigen Sätzen den Grund meines Besuchs geschildert hatte. Ohne hinzusehen spielte er mit meinem Kärtchen.
    Hinter ihm blühten vor Gesundheit strotzende Orchideen auf der breiten Fensterbank. Auch hier, im Sprechzimmer, roch es nicht etwa nach Desinfektionsmitteln, sondern nach einem Blumengarten. Außer einer Furcht einflößenden Sammlung medizinischer Fachbücher gab es nichts zu sehen, was an eine Arztpraxis erinnert hätte. Nicht einmal einen Kittel trug mein Gesprächspartner, sondern einen hellgrauen zweireihigen Anzug.
    »Genauer, es geht um den kleinen Sohn der Sanders und einen verstauchten Arm«, korrigierte ich ihn freundlich.
    Er nickte. »Ich erinnere mich. Das war letzten Sommer, richtig?«
    Plötzlich gab er sich einen Ruck, tippte etwas in seine metallisch glänzende Designertastatur, schob die Hornbrille in die Stirn und starrte eine Weile kurzsichtig auf seinen Flachbildschirm.
    »Hier, ja. Letztes Jahr im Juli. Ausgekugelte Schulter. Nichts weiter Schlimmes.« Die Brille rutschte ganz von allein wieder auf die Nase herunter. »Was ist in Ihren Augen interessant daran?«
    »Die Umstände. Ist der Junge wirklich mit dem Rad gestürzt? Oder eher vom Baum gefallen?«
    »Vom Rad gestürzt. Sagte mir die Mutter.«
    »Und das klang glaubwürdig für Sie?«
    »Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.« Neugierig musterte er mich. »Worauf wollen Sie hinaus?« Ein bemerkenswert unauffälliger Blick auf die Visitenkarte. »Herr Gerlach?«
    »Auf gar nichts. Ich möchte lediglich Ihre Meinung als Arzt hören. Klang die Begründung der Mutter glaubhaft? Wenn jemand vom Rad fällt, dann hat er in der Regel noch andere Verletzungen. Hautabschürfungen an den Händen, eine Beule am Kopf.«
    Professor Schaaf nickte langsam. »Prellungen, Blutergüsse, ausgeschlagene Zähne …«
    Wieder sah er auf seinen Bildschirm, dann offen in mein Gesicht und schließlich auf den Tisch. »Wissen Sie, Herr Gerlach, das ist nicht so einfach, wie Sie zu denken scheinen.«
    »Sie möchten sich nicht festlegen.«
    »Die Frage ist nicht, ob ich möchte, sondern ob ich kann. Ich bin Internist, kein Forensiker. Der Junge hat damals alle möglichen Blessuren gehabt. Die konnten durchaus von einem Sturz stammen oder …« Er nahm die Brille ab, blinzelte mich an und sprach langsam weiter: »… oder auch von etwas völlig anderem. Ich ahne, worauf Sie anspielen. Aber mehr kann ich und werde ich nicht dazu sagen. Ich sehe auch heute keinen Grund, an den Worten der Mutter zu zweifeln.«

4
    »Wir haben leider ein Problem, Alexander«, sagte Theresa am Abend.
    Ganz außer der Reihe trafen wir uns am Mittwoch in der kleinen Wohnung ihrer Busenfreundin Ingrid, die sich praktischerweise nun schon seit
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