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Aleph

Aleph

Titel: Aleph
Autoren: Paulo Coelho
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bevor sie enthüllt, was er sucht.«
    Ein weiterer Beweis, dass es der falsche Moment für mich wäre zu reisen, denke ich, wohl wissend, dass wir die Dinge immer unseren Wünschen entsprechend interpretieren und nicht so, wie sie wirklich sind.

Der chinesische Bambus
     
    Es ist ein Segen , in diesem Zug zu sitzen, auf dem Weg von Paris zur Buchmesse nach London. Jedes Mal, wenn ich nach England komme, erinnere ich mich an das Jahr 1977, als ich meinen Job bei einer internationalen Schallplattenfirma in Brasilien aufgegeben und beschlossen hatte, den Rest meines Lebens vom Schreiben zu leben. Ich mietete eine Wohnung in der Basset Road in London, hatte viele Freunde, studierte Vampirologie, erkundete die Stadt zu Fuß, war verliebt, ging in jeden Film, der gezeigt wurde, und bevor ich mich’s versah, war ein Jahr vergangen und ich zurück in Rio de Janeiro, ohne auch nur eine einzige Zeile geschrieben zu haben.
    Diesmal würde ich nur drei Tage in London bleiben. Eine Signierstunde, Abendessen in indischen und libanesischen Restaurants, Gespräche über Bücher, Verlage und andere Autoren in der Hotellobby. Wenigstens bis zum Jahresende werde ich nicht in mein Haus in Saint-Martin zurückkehren. Von London aus werde ich nach Rio de Janeiro fliegen, wo ich endlich wieder einmal meine Muttersprache auf den Straßen hören, jeden Abend Agai-Saft trinken und von meinem Fenster aus stundenlang die schönste Aussicht der Welt genießen kann: den Blick auf den Strand von Copacabana.
    Kurz vor der Ankunft in London betritt ein junger Mann mit einem Strauß Rosen den Waggon und schaut sich um. Eigenartig, denke ich, im Eurostar habe ich noch nie Blumenverkäufer gesehen.
    »Ich brauche zwölf Freiwillige«, ruft er. »Die Frau meines Lebens wartet auf mich. Ich möchte ihr einen Heiratsantrag machen. Jeder von Ihnen soll ihr bei der Ankunft eine Rose übergeben.«
    Auch ich melde mich, neben einigen anderen, werde aber nicht ausgewählt. Als der Zug hält, folge ich der Gruppe dennoch. Der junge Mann zeigt auf ein Mädchen auf dem Bahnsteig. Die Fahrgäste überreichen ihr, einer nach dem anderen, eine Rose. Am Ende gesteht er ihr seine Liebe, alle applaudieren, und das junge Mädchen wird vor Verlegenheit ganz rot. Sie küssen sich und gehen Arm in Arm davon.
    Ein Zugbegleiter meint:
    »Das ist das Romantischste, was ich in meinem ganzen Arbeitsleben gesehen habe.«
     
    ***
     
    Das Signieren hat fast fünf Stunden gedauert, mich aber trotzdem mit positiver Energie aufgeladen, und ich frage mich, warum ich in den letzten Monaten so durcheinander war. Selbst wenn ich in meiner spirituellen Entwicklung im Moment blockiert bin, sollte ich vielleicht einfach etwas Geduld haben. Schließlich war es mir vergönnt gewesen, Dinge zu sehen und zu erleben, die nur wenigen anderen Menschen zuteilwurden.
    Bevor ich nach London fuhr, war ich in eine kleine Kapelle in Barbazan-Debat gegangen. Dort habe ich die Heilige Jungfrau gebeten, mir mit ihrer Liebe den Weg zu weisen und mir zu helfen, die Zeichen zu erkennen, die mich zu mir selber zurückführen. Ich weiß, dass ich ein Teil der Menschen bin, die mich umgeben, und dass sie ein Teil von mir sind.
    Gemeinsam schreiben wir am Buch des Lebens, zusammengeführt nur durch das Schicksal, aber vereint im Glauben, die Welt verändern zu können. Jeder trägt mit einem Wort, einem Satz, einer Idee dazu bei, aber am Ende ergibt alles ein Ganzes: Das Glück jedes Einzelnen wird zum Glück aller.
    Unsere Fragen werden immer dieselben sein. Wir werden demütig hinnehmen müssen, dass nur unser Herz den Grund für unser Dasein kennt. Ja, es ist schwierig, zu seinem Herzen zu sprechen, aber vielleicht ist das nicht einmal notwendig. Es reicht, Vertrauen zu haben, den Zeichen zu folgen, seinen Traum zu leben, und früher oder später erkennen wir, dass wir an etwas Umfassenderem teilhaben, auch wenn wir dieses Etwas mit unserer Vernunft nicht erfassen können. Man sagt, dass jeder in der Sekunde vor seinem Tod den wahren Grund für seine Existenz erfährt. Und dieser Augenblick entscheidet zwischen Hölle oder Paradies.
    Die Hölle wird es ein, wenn wir in diesem Bruchteil einer Sekunde erkennen, dass wir die Gelegenheit versäumt haben, das Wunder des Lebens zu würdigen. Das Paradies jedoch, wenn wir dann sagen können: >Ich habe wohl Fehler gemacht, aber ich war kein Feigling. Ich habe mein Leben gelebt und mein Bestes gegeben.<
    Wie auch immer, es gibt keinen Grund, meine persönliche
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