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Aleph

Aleph

Titel: Aleph
Autoren: Paulo Coelho
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Hölle vorwegzunehmen und mir wieder und wieder den Kopf darüber zu zerbrechen, dass ich bei meiner spirituellen Suche nicht weiterkomme. Ich darf einfach nicht aufgeben. Selbst jenen, die nicht ihr Bestes versucht haben, wurde bereits vergeben. Das Leben selbst war ihre Strafe, wenn sie unglücklich waren, wo sie doch in Frieden und im Einklang mit sich selbst hätten leben können. Wir sind alle erlöst, frei, dem Weg zu folgen, der nirgendwo seinen Anfang genommen hat und kein Ende haben wird.
     
    ***
     
    Ich habe kein Buch dabei. Während ich darauf warte, mich mit meinen russischen Verlegern zum Abendessen zu treffen, blättere ich in einem dieser Magazine, die immer in Hotelzimmern ausliegen. Ich lese ohne übermäßiges Interesse einen Artikel über den chinesischen Bambus. Nachdem der Samen gepflanzt wurde, steht dort, sieht man knapp fünf Jahre lang nichts bis auf einen winzigen Spross. Unter der Erde jedoch entsteht in dieser Zeit eine komplexe, sich vertikal und horizontal ausbreitende Wurzelstruktur. Doch am Ende des fünften Jahrs schießt der chinesische Bambus in kürzester Zeit bis zu einer Höhe von 25 Metern auf.
    Ich hätte als Zeitvertreib keine langweiligere Lektüre finden können. Ich beschließe, hinunterzugehen und das Kommen und Gehen in der Lobby zu beobachten.
     
    ***
     
    Während ich warte, trinke ich einen Kaffee. Monica, meine Agentin und meine beste Freundin, leistet mir Gesellschaft. Wir sprechen über dies und das. Ich sehe, dass sie müde ist, nachdem sie den ganzen Tag mit Leuten aus der Verlagsbranche verhandelt und schließlich noch meine englische Verlegerin am Telefon über die Signierstunde auf dem Laufenden gehalten hat.
    Unsere Zusammenarbeit begann, als Monica gerade erst zwanzig war. Sie war eine begeisterte Leserin meiner Bücher und überzeugt davon, dass ein brasilianischer Autor auch außerhalb seines Landes übersetzt und erfolgreich veröffentlicht werden könnte. Sie gab ihr Chemieingenieurstudium in Rio de Janeiro auf, zog mit ihrem Freund nach Spanien, wo sie an Verlagstüren klopfte und engagierte Briefe schrieb mit dem Ziel, spanische Verleger für meine Bücher zu begeistern.
    Als jedoch all ihre Bemühungen keinen Erfolg zeitigten, bin ich in die kleine Stadt in Katalonien gefahren, in der sie lebte, habe sie zu einem Kaffee eingeladen und ihr geraten, das Handtuch zu werfen und sich ihrem eigenen Leben und ihrer Zukunft zu widmen. Sie weigerte sich und sagte, sie könne nicht mit einer Niederlage nach Brasilien zurückkehren. Ich versuchte, sie davon zu überzeugen, dass sie keineswegs gescheitert sei, immerhin hatte sie gezeigt, dass sie überleben konnte (indem sie Flyer verteilte und als Kellnerin arbeitete), und außerdem die einzigartige Erfahrung gemacht, im Ausland zu leben. Monica blieb stur. Ich verließ das Cafe mit dem sicheren Gefühl, dass sie ihr Leben wegwarf, ich sie aber nie würde umstimmen können, dickköpfig, wie sie war. Sechs Monate später sollte alles vollkommen anders sein, und nach weiteren sechs Monaten hatte sie genug Geld, um sich eine Wohnung zu kaufen.
    Sie hatte an das Unmögliche geglaubt und so eine Schlacht gewonnen, die alle - mich eingeschlossen - verloren gegeben hatten. Das ist es, wodurch sich ein Krieger auszeichnet: Er erkennt, dass Wille und Mut nicht ein und dasselbe sind. Mut kann Angst machen und Bewunderung auslösen, aber einen starken Willen zu haben verlangt Geduld und Engagement. Männer und Frauen mit großer Willenskraft sind häufig Einzelgänger und strahlen eine gewisse Reserviertheit aus. Viele empfinden Monica als kühl, aber sie täuschen sich sehr: In ihrem Herzen brennt ein verborgenes Feuer, noch heute so intensiv wie damals in jenem katalonischen Cafe. Trotz allem, was sie erreicht hat, hat ihre Begeisterung um nichts nachgelassen.
    Gerade als ich ihr von meinem kürzlich mit J. geführten Gespräch erzählen will, betreten meine beiden bulgarischen Verlegerinnen die Lobby, die im selben Hotel untergebracht sind - nicht ungewöhnlich während der Buchmesse. Wir machen Small Talk, dann stellt mir eine der beiden die stets wiederkehrende Frage:
    »Wann besuchen Sie unser Land?«
    »Nächste Woche, wenn Sie das organisieren können. Meine einzige Bedingung ist eine Party nach der Signierstunde.«
    Die beiden starren mich ungläubig an. Der chinesische Bambus! Auch Monica ist entgeistert:
    »Dazu muss ich erst einmal in den Terminkalender schauen…«
    »…aber ich bin sicher, dass ich
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