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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Einöde bat und nach langen Überredungsversuchen, zur Freude der Sawolshsker, in Frieden entlassen wurde, um nie wieder diesen bescheidenen Bischofssessel fern der Hauptstadt zu verlassen.
    Aber was heißt schon fern. Es ist ja altbekannt: je ferner der Hauptstadt, desto näher zu Gott. Und die Hauptstadt, die hoch sitzt und weit sieht, sie reicht auch tausend Werst weit, wenn ihr solch ein Einfall in den Sinn kommt.
    Und solch ein Einfall war schuld, dass der Bischof diese Nacht nicht schlief, sondern missvergnügt dem zuwideren Crescendo der Zikaden lauschte. Die hauptstädtische Phantasie hatte ein Gesicht und einen Namen: Synodalinspektor Bubenzow. Und Mitrofani, indes er erwog, wie diesem ränkesüchtigen Herrn beizukommen sei, wälzte sich auf dem weichen Bett aus Entendaunen zum hundertsten Mal von einer Seite auf die andere, ächzend, seufzend, auch stöhnend.
    Die altertümliche Lagerstatt im bischöflichen Schlafgemach stammte noch aus Elisabeths Zeiten: Vier Säulen trugen einen Baldachin in Form des Sternenhimmels. In der erwähnten Zeit seiner Askese hatte Mitrofani auch auf Stroh und kahlen Brettern vorzüglich geschlafen, bis er zu dem Schluss gelangte, dass die Abtötung des Fleisches dumm und sinnlos sei, nicht dazu habe es der HERR nach SEINEM Bilde geschaffen, auch zieme es dem Bischof nicht, den ihm untergebenen Klerikern selbstquälerische Strenge aufzuzwingen, nach der die Seele das Bedürfnis nicht habe und zu der die Kirchenordnung nicht verpflichte. In seinen reifen Jahren neigte Mitrofani immer mehr zu der Ansicht, dass die wirklichen Prüfungen dem Menschen nicht im physiologischen, sondern im geistigen Bereich auferlegt würden und dass die Kasteiung des Körpers keineswegs immer die Rettung der Seele nach sich ziehe. Darum waren die bischöflichen Gemächer nicht schlechter ausgestattet als das Haus des Gouverneurs, die Tafel irrt Speisezimmer war unvergleichlich erlesener, und der Apfelgarten war der schönste in der ganzen Stadt, mit Lauben, Rotunden und sogar einem Springbrunnen. Friedlich war es da, schattig, inspirierend, und wenn auch die Übelwoller tuschelten – lass sie reden, sie reden über jeden.
    Mit dem tückischen Spürhund Bubenzow müsste man es so machen, überlegte der Bischof. Als Erstes nach Petersburg schreiben, an Konstantin Petrowitsch, und ihm die Machenschaften seines bevollmächtigten Nuntius schildern, auch ihm ausmalen, welche Schäden der Kirche dadurch drohten. Der Oberprokuror war ein kluger Mann, vielleicht schenkte er dem Gehör. Aber ein Schreiben allein genügte nicht, man musste die Gouverneursgattin Ljudmila Platonowna zu einem Gespräch bitten, um ihr ins Gewissen zu reden. Sie war eine gutherzige, redliche Frau und würde sich gewiss besinnen.
    So käme alles ins Lot. Ganz einfach.
    Aber auch nachdem ihm leichter ums Herz geworden war, floh ihn der Schlaf weiterhin, und das lag nicht am Vollmond und nicht an den Zikaden.
    Da Mitrofani seine Natur kannte und ihren Mechanismus bis ins Letzte zu ergründen gewohnt war, sann er nun darüber nach, was für ein Wurm an ihm nagte und den Verstand hinderte, sich in die Wolke des Schlafs zu hüllen. Woran lag das?
    War es etwa das kürzliche Gespräch mit der wunderlichen Novizin von adligem Stand, der er die Einkleidung als Nonne verweigert hatte? Er hatte nicht drum herumgeredet, sondern ihr ins Gesicht gesagt: »Was Sie brauchen, meine Tochter, ist nicht der Süße Himmelsbräutigam, machen Sie sich nichts vor. Sie brauchen einen ganz gewöhnlichen Bräutigam, einen Beamten oder besser einen Offizier. Mit Schnurrbart.« Das hätte er natürlich nicht sagen sollen. Die Folge waren Hysterie und zermürbend lange Widerworte. Na gut, das war eine Lappalie. Was gab es noch?
    Er musste einen unangenehmen Entschluss fassen, der den Vater Wirtschafter des Epiphanienklosters betraf. Der Missetäter war wegen Trunkenheit und wegen unzüchtiger Besuche bei Frauen liederlichen Wandels zur Entlassung aus dem Kloster und zur Rückstufung in den ursprünglichen Rang verurteilt worden. Jetzt war noch der Schreibkram zu erledigen – Briefe an Seine Eminenz den Metropoliten und an den Synod. Aber das war Routine und nicht der Grund für die innere Unruhe.
    Mitrofani dachte weiter nach, spielte wie in der Kindheit »heiß« und »kalt« und erkannte plötzlich: Der Brief von seiner Tante, der Generalswitwe Tatistschewa, das war die wunde Stelle. Er wunderte sich, aber das Herz bestätigte sogleich – »heiß«, das war
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