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Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
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Auf diesen seinen Ruhm war der Bischof von Sawolshsk insgeheim sehr stolz, wenngleich nicht ohne Gewissensbisse – erstens weil dieser Stolz zweifellos zur Kategorie der eitlen Ruhmsucht zählte, und zweitens aus noch einem Grund, den nur er selbst kannte und noch eine Person, darum verschweigen wir ihn.
    Die Bitte der Tante, zu ihr aufs Gut zu eilen, um die Umstände des Todes von Saguljai aufzuklären, hatte den Bischof am Abend, beim ersten Lesen des Briefes, belustigt. Auch jetzt, beim nochmaligen Lesen, dachte er: Mumpitz, die Grillen einer alten Frau. Sie wird ein paar Tage liegen bleiben und wieder aufstehen.
    Er löschte die Kerze und legte sich hin, aber ihm war nicht wohl ums Herz. Er versuchte, für die Genesung der Tante zu beten, denn bekanntlich gelangt ein Gebet bei Nacht leichter zu Gott. Auch der heilige Slatoust (Slatoust – altrussische Sammlung von Texten moralisch-belehrenden Inhalts, hauptsächlich von Werken des Ioann Slatoust (347-407). D.Ü.) schreibt ja, dass Gott der Herr gnädiglich nächtliche Gebete erhört, »wenn du weinst, derweil die meisten Menschen schlummern«.
    Aber sein Gebet kam nicht von Herzen, es war wie Papageiengeschwätz, und solche Gebete galten ihm nichts. Er auferlegte auch niemandem Gebete als Buße, das hielt er für Lästerung. Ein Gebet ist kein Gebet, wenn es nur aus dem Munde geht, ohne das Herz zu berühren.
    Na schön, soll Pelagia hingehen, beschloss Mitrofani. Soll sie herausfinden, was da mit dem verwünschten Saguljai geschehen ist.
    Sogleich wurde ihm leichter ums Herz, die Zikaden quälten ihn nicht mehr mit ihrem vielstimmigen Gesäge, sondern lullten ihn ein, und der Mond stach nicht mehr in die Augen, sondern wusch das Gesicht wie mit warmer Milch. Mitrofani schloss die Lider, die Stirn glättete sich. Er schlief ein.
    Am Morgen wurden in der Hauskirche anlässlich des Festes der Verklärung Christi, das auch Apfelweihe genannt wird, die Früchte gesegnet. Dieses Kirchenfest, nicht das größte der zwölf, liebte Mitrofani für seine Frische und gottgefällige Leichtigkeit. Er selbst hielt keinen Gottesdienst ab, sondern stand hinten auf dem bischöflichen Podest, von wo er einen besseren Blick hatte auf die mit Äpfeln geschmückte Kirche, auf die zahlreichen Kirchenbesucher und auf die Priester und die Diakone in ihrem »Apfelornat« – hellblau mit Gold, bestickt mit Früchte-und Laubmotiven. Die Sänger des berühmten bischöflichen Chors gingen von zwei Seiten aufeinander zu und schmetterten ihren Gesang, und zwar so, dass der schwere Kristalllüster unter dem weißen Gewölbe mit seinen bunt schillernden Anhängern klingelnd erbebte. Vater Amfiteatrow begann die Äpfel zu weihen: »Herr unser Gott, du erlaubst denen, so an dich glauben, deine Schöpfungen zu nutzen, so segne denn die hier liegenden Früchte mit deinem Wort. . .«
    Der Gottesdienst zum Apfelfest dauert nicht lange und stimmt freudig. Die Kirche duftet frisch und fruchtig, denn alle haben Körbe mitgebracht, um die Äpfel besprengen zu lassen. Neben Mitrofani stand auf einem Tischchen eine Silberschale mir großen roten Ananasäpfeln aus dem Garten des Bischofs – saftig, süß, aromatisch. Und es war eine besondere Auszeichnung und ein Zeichen der Gewogenheit, einen solchen Apfel von ihm geschenkt zu bekommen.
    Mitrofani schickte einen Klosterdiener zum linkem Chor, wo sittsam in einer Reihe die Nonnen standen, denen auferlegt worden war, in der bischöflichen Mädchenschule zu unterrichten. Der Abgesandte flüsterte der Vorsteherin, der langen hageren Schwester Christina, ins Ohr, der Bischof wolle den Nonnen Äpfel schenken, worauf sie sich umdrehte und sich dankbar verneigte. Zu ihrer Rechten (von hinten nicht gleich zu erkennen) stand Schwester Emilia, die Arithmetik, Geographie und weitere Wissenschaften unterrichtete. Die nächste war die hüftlahme Schwester Olimpiada, zuständig für Religion. Dann folgten zwei gleich aussehende krummrückige Schwestern, Amwrossia und Apollinaria, die niemand auseinander halten konnte; die eine lehrte Grammatik und Geschichte, die andere Handarbeiten. Die letzte in der Reihe, schon an der Wand, war die kleine, zierliche Schwester Pelagia (Literatur und Gymnastik). Diese nun war mit niemandem verwechselbar: Ihr Schleier war ein wenig verrutscht, eine rötliche Haarsträhne schaute heraus, für eine Nonne schändlich und unzulässig, und schimmerte in einem Sonnenstrahl wie Bronze.
    Mitrofani seufzte und fragte sich wieder einmal, ob er
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