Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Akunin, Boris - Pelagia 01

Akunin, Boris - Pelagia 01

Titel: Akunin, Boris - Pelagia 01
Autoren: Pelagia und die weissen Hunde
Vom Netzwerk:
Überlegung an. Du müsstest herausfinden, Pelagia, wen sie das letzte Mal testamentarisch begünstigt oder, im Gegenteil, wem sie Enterbung angedroht hat. Einen anderen Sinn kann ich hinter dieser irren Hundevergifterei nicht erkennen, als dass jemand auf diese Weise die Frau ins Grab bringen will. Du hast gelesen, dass sie wegen des Hundes krank geworden ist. Wären beide krepiert, so würde es Marja Afanassjewna nicht überlebt haben. Wie findest du meine Theorie?«, fragte der Bischof besorgt seine scharfsinnige Schülerin. »Ist sie vielleicht zu unwahrscheinlich?«
    »Die Befürchtung ist vernünftig und durchaus wahrscheinlich, andere Gründe sind kaum denkbar«, entgegnete die Nonne, fügte jedoch hinzu: »Aber man müsste sich schon an Ort und Stelle umsehen. Vielleicht findet sich ja noch ein anderer Grund. Hat Eure Tante denn ein großes Vermögen?«
    »Ja. Das Gut ist ansehnlich und in mustergültiger Ordnung. Wälder, Wiesen, Mühlen, Flachs, Hafer, alles erstklassig. Dazu noch Kapital, Wertpapiere auf der Bank. Es würde mich nicht wundern, wenn alles zusammen auf eine Million hinausläuft.«
    »Und kennt Ihr denn die Erben, Vater? Es bedarf schon großer Niedertracht, um so etwas zu tun. Direkter Mord wäre kaum eine schwerere Sünde.«
    »Du urteilst von der göttlichen Position her, und du tust recht daran. Aber die menschlichen Gesetze sind von den göttlichen weit entfernt. Bei direktem Mord ermittelt die Polizei, wer es war und warum er es getan hat. Dafür setzt es Zwangsarbeit. Hunde vergiften aber, das ist im menschlichen Sinne eine lässliche Sünde und im juristischen Sinne gar keine, obwohl die alte Frau mit dieser Methode noch sicherer umzubringen ist als mit Messer oder Kugel.«
    Pelagia warf die Hände hoch, so dass ihr Strickzeug zu Boden flog.
    »Eine große Sünde ist es im menschlichen Sinne, eine sehr große! Selbst wenn Eure Marja Afanassjewna eine Ausgeburt der Hölle wäre und ein von ihr Gekränkter Rache nehmen wollte! Was können die unschuldigen Kreaturen dafür? Der Hund ist ein zutrauliches, anhängliches Wesen, und Gott der Herr hat ihn mit Treue und der Gabe der Liebe so reichlich ausgestattet, dass die Menschen davon lernen könnten. Ich finde, Vater, einen Hund zu töten ist noch schlimmer als einen Menschen.«
    »Na, das lass mal, das ist ja gottlos!«, herrschte Mitrofani sie an. »So etwas will ich nie wieder hören! Eine lebendige Seele mit einem sprachlosen Tier zu vergleichen!«
    »Mögen sie auch sprachlos sein!« Die eigensinnige Nonne gab nicht klein bei. »Habt Ihr mal einem Hund in die Augen gesehen? Wenigstens Shuk, Eurem Kettenhund am Tor? Tut es mal. Shuks Augen sind beseelter und lebendiger als die trüben Lichter von Eurem hochgeschätzten Usserdow!«
    Der Bischof öffnete schon den Mund, um seinem gerechten Zorn freien Lauf zu lassen, aber er hielt sich zurück. In letzter Zeit führte er einen Kampf mit der Sünde des Herzenszorns, und manchmal gewann er.
    »Ich habe nicht die Zeit, Hofhunden in die Augen zu gucken«, sagte er mürrisch, doch würdevoll. »Und Usserdow lass aus dem Spiel, er ist genau und zuverlässig, und dass man zu seiner Seele schwer Zugang findet, liegt an seinem Charakter. Ich will mit dir nicht streiten, schon gar nicht über Offenkundiges. Sage mir das eine: Erfüllst du mir meine Bitte?«
    Die Nonne verneigte sich. »Ja, Vater.«
    »Dann erlege ich dir diese Kirchenbuße auf: Gehe nach Drosdowka. Heute noch. Überbringe Marja Afanassjewna meinen Segen und den Brief, den ich dir geben werde. Beruhige die alte Frau. Und vor allem – finde heraus, was dort vorgeht. Wenn du einen bösen Plan erkennst, durchkreuze ihn. Wie, das wirst du selber wissen. Und bleibe dort, bis du Klarheit hast.«
    Pelagia fuhr zusammen. »Vater, ich muss am Sonnabend unterrichten.«
    »Zum Unterricht kommst du her, danach zurück nach Drosdowka. Genug, gehe jetzt. Aber lasse dich erst noch segnen.«
    Bevor Schwester Pelagia sich auf das Gut der Generalswitwe Tatistschewa begibt, sind ein paar geographische Erläuterungen vonnöten, ohne die ein Mensch, der noch nie in Sawolshsk war, Mühe hätte, all das, was weiterhin geschieht, zu glauben oder auch nur zu begreifen.
    Die wichtigste handelnde Person in dieser Geschichte ist der Fluss, der größte und ruhmreichste Fluss nicht nur in Russland, sondern auch in ganz Europa. Die Gouvernementhauptstadt ist am linken Ufer, dem Steilufer, errichtet worden. Hier wird die Strömung des Wassers auf beiden Seiten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher