Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Akte X

Akte X

Titel: Akte X
Autoren: Skin
Vom Netzwerk:
entschieden. Resigniert warf er einen Blick auf die Uhr über der Eingangstür. »Zeitpunkt des Todes: Drei Uhr fünfzehn.«
    Während Gomez die Trage zum Fahrstuhl auf der Rückseite des Raumes schob, zog er seine Handschuhe aus. Der Fahrstuhl führte geradewegs hinab in die Pathologie und von dort aus weiter in die Leichenhalle des Krankenhauses. Aufgrund der mysteriösen Begleitumstände dieses Todesfalls würde vermutlich eine Autopsie stattfinden, und vielleicht konnte der Pathologe ihnen später erklären, was tatsächlich geschehen war. Für den Mann auf der Trage änderte das allerdings auch nichts mehr.
    Algers Gesichtszüge erschlafften, als er zusah, wie Gomez den Leichnam fortbrachte. Plötzlich schienen seine Augenlider bleischwer zu sein. Er fühlte, wie Dennis Crow ihm die Hand auf die Schulter legte. »Wir haben getan, was wir konnten. Menschen sterben nun einmal, und ganz gleich, was der Duke auch denken mag, es ist nicht immer unsere Schuld.«
    Alger starrte ihn an, ehe sein Blick zu der Eingangstür wanderte. Seufzend sah er zu, wie eine weitere Trage hereingerollt wurde.
    Zwölf Stunden später bekämpfte Mike Lifton seine Übelkeit, als Josh Kemper die schwere Stahlschublade öffnete. Der drückende Geruch toten Fleisches vermengte sich mit der antiseptischen Kälte des Kühlraumes, und Mike verzog gepeinigt das Gesicht. Er wünschte sich, er hätte nie zugestimmt, seinen Zimmergenossen zu dieser schaurigen Ernte zu begleiten.
    »Du gewöhnst dich daran«, sagte Josh, während er die Leichenschublade mit beiden Händen herauszog. Josh war groß und schlaksig. Seine übergroßen Segelohren lugten unter seinem langen, dichten Haar hervor. »Es hilft, daran zu denken, wie viel Geld das einbringt. Zwanzig Dollar die Stunde sind verdammt besser, als im Starbucks Kaffee zu servieren.«
Mike versuchte zu lachen, aber die Laute blieben irgendwo in seiner Kehle stecken. Nervös zupfte er an den Ärmeln seines grünen OP-Kittels und rieb das weiche Material zwischen seinen Fingern hin und her. Er fühlte, wie der Schweiß auf seinem Rücken abkühlte, während er fröstelnd über Joshs rechte Schulter blickte.
    Der Leichnam in der Schublade war in einen durchsichtigen Plastiksack eingehüllt, der in der Mitte mit einem Reißverschluß verschlossen war. Unwillkürlich wich Mike einen kleinen Schritt zurück, als Josh den Reißverschluß öffnete. »Da haben wir ihn. Ein Steifer, medium.«
    Mike blinzelte verständnislos, während sich in seinem Mund Trockenheit ausbreitete. Schließlich strich er sich mit der Hand durch das kurze, kastanienbraune Haar. Er hatte schon früher mit Leichen gearbeitet; als Medizinstudent im dritten Jahr hatte er genug tote Leiber abgetastet, um einen Zombiefilm zu füllen, aber er hatte noch nie eine so frische Leiche gesehen.
    Der Mann in dem Plastiksack war unnatürlich bleich. Seine Haut hatte eine fast schon blaugraue Färbung. Krauses, blondes Haar bedeckte seine Brust. Seine Augen waren geschlossen, das Gesicht verzogen, und die Haut spannte sich stramm über seine Wangenknochen. Das Frühstadium von Rigor Mortis hatte gerade erst begonnen, und sein kantiges Kinn ragte steif empor. Es gab keine sichtbaren Anzeichen für eine Verletzung, keine klaffenden Wunden oder erkennbaren Prellungen. Das einzig Auffällige war eine farbenfrohe Tätowierung am rechten Oberarm des Mannes.
    »Netter Drache«, kommentierte Josh, wobei er auf die Tätowierung zeigte. »Das sind etwa dreihundert Dollar nutzlos vergeudeter Haut.«
    Der makabre Gedanke jagte Mike einen Schauer über den Rücken. Zwar wusste er, dass der Teilzeitjob in der Hautbank eine gute Möglichkeit bot, nicht nur Geld, sondern auch Erfahrungen zu machen, die wichtig sein würden, sollte er sich entschließen, nach dem Medizinstudium Chirurg zu werden, trotzdem fühlte er sich nun, als wäre er ein Ghul, ein Leichenschänder, daran konnte auch die lässige Haltung seines Kommilitonen nichts ändern. Josh Kemper war nicht einfach zynisch oder durch die Routine abgestumpft, er war schon ohne einen Funken der Achtung zur Welt gekommen. Schon in seinem ersten Jahr an der Columbia Medical School wäre er beinahe suspendiert worden, weil er im Anatomieunterricht eine Bauchspeicheldrüse zum Ballspiel mißbraucht hatte. Ohne Zweifel stand ihm eine große Karriere als Pathologe bevor.
    Mike hingegen war immer schon sensibler gewesen als sein Zimmergenosse. Als der Professor in seinem ersten Anatomieseminar einen »Y«-Schnitt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher