Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Airport-Klinik

Airport-Klinik

Titel: Airport-Klinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
weit zu der Selbstmörderin hin. »Es ist doch schön, zu leben – nicht wahr?«
    »Sie spricht kein Wort.« Schwester Britte hob resignierend die Schultern. »Ich kann sagen, was ich will … sie schweigt.«
    »Lassen Sie uns bitte allein, Britte.«
    Dr. Hansen kam um das Bett herum und setzte sich auf die Bettkante. Das Gesicht der Frau war jetzt dicht bei ihm. Ein schönes, ebenmäßiges Gesicht. Eine schmale Nase. Geschwungene, nicht zu volle Lippen. Ein kleines rundes Kinn. Und diese Augen! So blau, als hätten sie einen Teil eines wolkenlosen Himmels aufgesogen. Das einzige, was störte, war der große Pflasterverband auf ihrer Stirn.
    Schwester Happel verließ lautlos das Zimmer.
    »Jetzt sind wir allein«, sagte Dr. Hansen sanft und legte seine Hand auf ihre übereinandergelegten Hände. »Wer sind Sie?«
    Schweigen.
    »Warum haben Sie das getan?«
    Schweigen.
    »Das Leben ist so schön und kurz, das wirft man doch nicht einfach weg. Da blühen die Blumen. Der Wind rauscht in den Blättern der Bäume. Da ist ein kleiner See, und die Sonne spiegelt sich in seinem glitzernden Wasser. Da sind die Straßen, die Geschäfte, voll von Wünschen. Man hört ein Kinderlachen, Musik klingt aus dem Radio, Tanzmusik oder Beethoven. Da ist eine Disko, ein Theater, ein Kino … die ganze Welt liegt vor einem, weit, weit offen. Das Meer. Das Gebirge, Strände unter Palmen. Oder das Läuten der Kuhglocken auf den Almen. Und über allem ein herrlicher, unendlicher Himmel, von der Sonne bestrahlt und vom Mond gestreichelt. Mein Gott, ist das Leben schön, auch wenn man nur trocken Brot ißt oder nur Wasser trinkt – denn auch das sind Wunder. Das Wachsen des Getreides und das Wasser der Quellen und Bäche und Flüsse und Ströme … das ganze Leben ist trotz aller Mühsal ein Wunder. Und das werfen Sie so einfach weg! Ist eine Rose in Ihrer Hand nicht viel mehr wert als aller Kummer des Alltags?«
    Schweigen.
    Nur in den blauen Augen geschah etwas. Sie wurden feucht, begannen zu schwimmen. Tränen rannen an der Nase herunter und über die Wangen.
    »Soll ich lieber gehen?« fragte Dr. Hansen.
    Schweigen … nur ein kaum wahrnehmbares Kopfschütteln. Aber das war Antwort genug. Dr. Hansen atmete auf. Der Panzer um ihr Herz war aufgebrochen.
    »Ich will nicht fragen, warum Sie Ihr Leben wegwerfen wollten. Sie brauchen mir nichts zu sagen. Es ist ganz allein Ihr Wille, Ihr Entschluß gewesen. Sie werden jetzt denken: Warum hat man mich nicht sterben lassen? Warum hat man mich gerettet? Ihr habt mir damit keinen Gefallen getan, ihr habt die Qual nur wieder zurückgeholt … Sie sehen das falsch. Es gibt nichts im Leben, das man nicht überwinden könnte. Es gibt immer einen Weg, und wenn er noch so steinig und steil ist. Aber es sind Wege, die ins Leben hinein und nicht hinaus führen.«
    Die Frau bewegte den Kopf, drehte ihn zu Dr. Hansen und plötzlich sagte sie mit einer schönen, wohlklingenden Stimme: »Was wissen Sie denn, wie grauenhaft das Leben sein kann!«
    Dr. Hansen spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Sie spricht, sie ist nun wirklich ins Leben zurückgekommen.
    »Ich sehe als Arzt viel Kummer, viele schreckliche Situationen und tiefe Verzweiflung. Aber aus allem gibt es einen Ausweg …«
    »Ja. Den Tod.«
    »Kein Mensch lebt ewig. Sterben müssen wir alle. Gewiß, eine verdammt billige Weisheit, aber an ihr gibt es nichts zu deuteln. Doch kein Mensch sollte diesem Schicksal zuvorgreifen und Gott ins Handwerk pfuschen.«
    »Gott?« Die blauen Augen, von den Tränen umgeben, wurden hart. »Gibt es denn einen Gott?«
    »Ja! Nur nennt und sieht ihn jeder anders. Wenn ich hier in der Klinik einen Menschen retten kann – nach einem Herzinfarkt oder einer Gehirnblutung oder einem schweren Unfall – dann bin ich als Arzt so gläubig, um hinterher zu sagen: Gott sei Dank! Und auch Sie sollten jetzt sagen: Gott sei Dank, daß ich weiterlebe …«
    Die Frau schloß die Augen: »Sie hätten auch Priester werden können.«
    »Ein bißchen davon steckt in uns allen.« Er beugte sich über sie und strich ihr mit der anderen Hand eine Strähne der schönen blonden Haare aus der verpflasterten Stirn. »Wollen Sie mir jetzt sagen, wer Sie sind?«
    »Herta Frieske …« Sie sprach so leise, er konnte sie kaum verstehen.
    »Darf ich Herta zu Ihnen sagen?«
    Sie nickte und umfaßte plötzlich mit ihren Fingern seine Hand.
    Er fragte: »Was ist so schrecklich, daß man nicht mehr leben will?«
    Wieder Schweigen. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher