Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Agenten - Roman

Agenten - Roman

Titel: Agenten - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
hatte Karotten dabei, bündelweise in den Fahrradtaschen verstaut, denn seine Eltern führten einen Gemüseladen, in dem er stundenweise aushalf, an den Abenden oder samstagmittags, wenn es hoch herging. Er war viel kleiner als ich, und doch war er meist schneller, zäh und unermüdlich voran, als müsse er Fahrt machen, um mich mitzuziehen.
Wenn wir genug gestrampelt hatten, hielten wir auf einem Höhenpunkt, und Walter kramte die Karotten hervor, als verfüttere er sie zur Belohnung. Wir blieben sitzen, bis der Körper abgekühlt war; ich fragte Walter, wo sein Vater ein Bein verloren habe, und er erzählte davon, daß sein Vater am Kriegsende Flakhelfer gewesen sei und bei einem Luftangriff auf die Stellung als einer von wenigen überlebt habe. Walter sprach nicht gerne darüber, obwohl er zu seinem Vater hielt und es ihm nichts ausmachte, mit ihm ins Schwimmbad zu gehen. Wenn er erzählte, war es, als habe er selbst damals gelebt, denn er hatte präzise Informationen parat wie einer, der sich mit eigenen Augen ein genaues Bild gemacht hatte.
    So kamen wir viel herum, und einmal hatten wir uns in der Gruppe an die Abfahrt hinunter zum Rhein gewagt, lauter Serpentinen, gegen deren Windungen wir anbremsen mußten, bis wir nach fast einer Stunde das Flußtal erreichten. Im Ort gab es lauter Weinlokale, und in den Schaufenstern der Geschäfte lagen bunte Souvenirs, glasierte Holzscheiben mit eingebrannten Trinksprüchen und T-Shirts, die man mit einer Karte des Flußlaufs bedruckt hatte. Wir stellten die Räder am Ufer ab und schauten uns die vorbeifahrenden Schiffe an, eine ruhige Parade, die einen zunehmend sehnsüchtiger machte. Paul kommentierte, denn er hatte etwas Ahnung, weil ein Onkel von ihm als Lotse arbeitete; wir anderen aber waren still, der plötzliche Anblick des Flusses war erschreckend, ein weites Zuviel mit den Felsmassiven an beiden Seiten.
    Dann liefen wir weiter am Fluß entlang und standen schließlich dort, wo die Fähre ablegte; sie machte gerade vom Ufer los und setzte sich quer gegen die Strömung. Die meisten Fahrgäste waren in ihren Autos sitzengeblieben, nur rechts vorn, vor der eisernen Kette, stand einer unbeweglich, mit
dem Blick hinüber. Ich erkannte den langgestreckten Hinterkopf und das schwarze, gescheitelte Haar, niemand sonst bemerkte etwas, und wir gingen zu unseren Rädern zurück. Am nächsten Morgen sprach mich Blok zum ersten Mal an; es war nach der großen Pause, und wir übersetzten einen englischen Text. Blok blätterte in seinem Buch, und, ohne mich anzusehen, fragte er mich, so leise, daß gerade nur ich ihn verstehen konnte: »Sag mal, was treibst du die ganze Zeit mit den Scheißern?«
     
    So waren wir Freunde geworden, und Blok tat, als müsse er dafür sorgen, meine Standards zu heben. Er hatte eine Art von Verachtung für alles Übliche, die mich oft hilflos machte, und er kritisierte einen scharf, wenn man die Meinungen anderer vorschnell teilte. Seit das Eis zwischen uns gebrochen war, zogen wir oft gemeinsam los; meist fuhren wir nachmittags mit dem Bus an den Rhein, denn Blok wollte das Rad am Abend nicht den Berg hinauf schieben. Er bekam reichlich Taschengeld, wir profitierten beide von der Großzügigkeit seines Vaters, kauften uns russische Zigaretten und schauten den Fremden zu, die mit den weißen Schiffen kamen und sich immer in dieselben Winkel verliefen.
    Blok trieb sich nicht gern herum; er konnte stundenlang in einem Café sitzen, Leute beobachten und Zeitungen lesen. Er hatte Lust an frechen Bemerkungen, und er spielte den Rücksichtslosen, der sich zu niemandem hingezogen fühlt und von anderen nicht viel erwartet. Wer nicht Bescheid wußte, hielt ihn für älter als mich, er erschien altklug und doch höflich, so daß er Eindruck auf meine Mutter machte, die ihn für den passenden Kameraden hielt.
    Manchmal übernachtete er bei uns und saß am Morgen mit
zusammengekniffenen Augen am Frühstückstisch; ich beneidete ihn um seine Freiheiten, denn seine Eltern verweigerten ihm nichts, und er brauchte nur kurz anzurufen, wenn er nicht heimkommen wollte. Er war ein Einzelkind, auch da hatte er Glück gehabt, denn er kam nicht jeden Tag mit einer jüngeren Schwester in Berührung, die ihn mit ihren hysterischen Anfällen plagte. Von zu Hause erzählte er wenig, und er lud mich nicht ein, mit ihm zu kommen, als befürchte er, mir zuviel Einblick zu gönnen. Ich ließ ihn damit in Ruhe, irgendwann würde er auch diesen Schritt tun, da war ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher