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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark
Autoren: Haruki Murakami
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Papierserviette ab.
    »Während du im Wasser warst, habe ich Eri gefragt, warum du nicht mit mir redest, ob es an mir ein Problem gäbe.«
    »Und was hat sie gesagt?«
    »Dass du normalerweise mit niemandem viel redest. Du wärst ein bisschen komisch. Obwohl du Japanerin seiest, würdest du öfter Chinesisch als Japanisch sprechen. Und ich solle mir keine Gedanken machen. Es hätte nichts Nennenswertes mit mir zu tun.«
    Schweigend drückt Mari ihre Zigarette im Aschenbecher aus. »Du hattest doch kein besonderes Problem mit mir, oder?« Mari denkt kurz nach. »Ich erinnere mich nicht mehr so genau, aber ich glaube nicht.«
    »Ein Glück. Ich war ganz schön besorgt. Natürlich hatte ich ein paar Probleme, aber weil es ganz persönliche, innere Probleme waren, war es mir unangenehm, dass sie so leicht erkennbar waren. Besonders an einem Schwimmbecken in den Sommerferien.«
    Mari sieht ihm noch einmal forschend ins Gesicht. »Ich glaube nicht, dass deine inneren Probleme besonders offensichtlich waren.«
    »Dann bin ich ja beruhigt.«
    »Ich erinnere mich nicht an den Namen«, sagt Mari. »An meinen?«
    »Ja.«
    Er schüttelte den Kopf. »Macht nichts, den kann man ruhig vergessen. Ein absolut banaler Name. Ab und zu würde ich ihn selbst am liebsten vergessen, aber beim eigenen geht das nicht so einfach. Bei den Namen von fremden Leuten, die man sich eigentlich merken müsste, passiert das viel schneller.« Er wirft einen Blick aus dem Fenster, wie auf der Suche nach etwas, das er verloren hat. Dann sieht er wieder Mari an.
    »Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum deine Schwester kein einziges Mal ins Wasser gegangen ist. Obwohl es so heiß war und wir eigens an diesen tollen Pool gegangen sind.«
    Mari macht ein Nicht-mal-das-weißt-du-Gesicht. »Weil sie nicht wollte, dass ihr Make-up zerfließt. Das ist doch klar. Außerdem kann man mit solchen Bikinis gar nicht richtig schwimmen.«
    »Ach so«, sagt er. »Für Schwestern seid ihr ziemlich verschieden.«
    »Jede lebt ihr eigenes Leben.«
    Hierüber denkt der junge Mann eine Weile nach.
    »Aber leben wir nicht alle unser eigenes Leben?«, fragt er dann. »Ihr habt dieselben Eltern, seid in einer Familie aufgewachsen und beide Mädchen. Warum habt ihr so völlig verschiedene Persönlichkeiten entwickelt? Wo haben sich eure Wege getrennt? Die eine trägt einen Bikini nicht größer als ein Verkehrswimpel, sitzt nur am Pool und sieht umwerfend aus, während die andere so einen Schulbadeanzug trägt und sich ganz normal wie ein Delphin im Wasser tummelt ... «
    Mari sieht ihn an. »Und das soll ich dir hier und jetzt in zweihundert Worten oder so erklären? Während du dir deinen Hühnchensalat reinziehst?«
    Er schüttelt den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Nenn es Neugier. Ich habe nur so rausgeplappert, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist. Du brauchst nicht darauf zu antworten. Ich habe mich das bloß selbst gefragt.«
    Er will erneut seinen Hühnchensalat in Angriff nehmen, überlegt es sich aber anders und fährt frort. »Ich habe keine Brüder. Darum wüsste ich echt gern, inwieweit Geschwister sich ähneln oder unterscheiden.«
    Mari schweigt. Der Junge starrt, Messer und Gabel in der Hand, eine Weile nachdenklich in den Raum über dem Tisch.
    »Ich hab mal eine Geschichte über drei Brüder gelesen, die auf eine Insel bei Hawaii verschlagen wurden. Eine alte Sage. Ich war noch ein Kind, deshalb habe ich den genauen Inhalt vergessen, aber sie ging ungefähr so: Die drei Brüder fahren zum Fischen raus, ein Sturm kommt, und sie treiben lange hilflos auf dem Meer herum, bis sie ans Ufer einer unbewohnten Insel gespült werden. Eine schöne Insel, auf der Palmen und so was wachsen und Früchte im Überfluss. In ihrer Mitte erhebt sich ein unheimlich hoher Berg. In dieser Nacht erscheint Gott den drei Brüdern im Traum. An der Spitze der Insel werdet ihr drei runde Felsen finden, sagt er. Jeder von euch nimmt einen davon und rollt ihn an die Stelle, die ihm gefällt. Dort soll der jeweilige fortan leben. Je höher ihr hinaufsteigt, desto weiter könnt ihr die Welt überblicken. Ihr habt die Freiheit zu gehen, wohin ihr wollt.«
    Der Mann nimmt einen Schluck Wasser und holt Luft. Mari macht ein unbeteiligtes Gesicht, aber sie hört genau zu. »Hast du bis hier alles verstanden?« Mari nickt ein bisschen.
    »Möchtest du hören wie es weitergeht? Wenn's dich nicht interessiert, höre ich auf.«
    »Wenn die Geschichte nicht zu lang ist.«
    »Sie ist nicht
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