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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark
Autoren: Haruki Murakami
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Brille ab und legt sie neben ihre Kaffeetasse.
    Die Bedienung kommt zurück. »Sind Sie zusammen?«, fragt sie.
    »Ja«, antwortet er.
    Sie legt die Speisekarte auf den Tisch. Der junge Mann setzt sich Mari gegenüber und stellt seinen Instrumentenkasten auf den Stuhl neben sich. Erst jetzt scheint es ihm einzufallen: »Darf ich mich kurz setzen? Ich gehe gleich wieder, wenn ich gegessen habe. Ich hab noch woanders eine Verabredung.«
    Mari runzelt die Stirn. »Du hättest ruhig vorher fragen können.«
    Der Mann überlegt, was ihre Worte bedeuten könnten. »Wartest du auf jemanden?«
    »Nein«, sagt Mari.
    »Also ist die Höflichkeit das Problem?«
    »Genau.«
    Der Mann nickt. »Ach so. Du hast Recht, ich hätte fragen sollen, ob ich mich zu dir setzen darf. Entschuldige bitte. Aber es ist voll, und ich werde dich nicht lange stören. Ja?«
    Mari zuckt leicht mit den Schultern. Wie du willst, könnte das heißen. Der Mann schlägt die Speisekarte auf und schaut hinein.
    »Hast du schon gegessen?«
    »Ich habe keinen Hunger.«
    Nachdem der junge Mann mit mürrischem Gesicht die Karte überflogen hat, klappt er sie zu und legt sie auf den Tisch.
    »Eigentlich bräuchte ich sie gar nicht aufzuschlagen. Ich tue nur so, als würde ich sie lesen.«
    Mari sagt nichts.
    »Ich esse hier immer den Hühnchensalat. Das steht fest. Wenn ich das mal sagen darf, der Hühnchensalat bei >Denny's< lohnt sich. Ich habe schon die meisten Sachen auf der Karte probiert. Hast du hier schon mal Hühnchensalat gegessen?«
    Mari schüttelt den Kopf.
    »Er ist wirklich nicht übel. Hühnchensalat und dazu Toast, extra knusprig. Bei >Denny's< esse ich nur das.«
    »Warum liest du dann die Karte von vorn bis hinten durch?«
    Er glättet sich mit den Fingern die Falten um die Augenwinkel. »Tja. Stell dir mal vor, wie trübselig, zu »Denny's« zu kommen und, ohne sich die Karte anzuschauen, völlig abrupt einen Hühnchensalat zu bestellen, oder? Das sähe ja so aus, als käme ich nur wegen des Hühnchensalats her. Deshalb gucke ich immer in die Karte, überlege hin und her und tue dann so, als würde ich mich für den Hühnchensalat entscheiden.«
    Als die Bedienung das Wasser bringt, bestellt er Hühnchensalat mit knusprigem Toast. »Sehr knusprig, bitte«, betont er. »Kurz bevor er verbrennt.« Für nach dem Essen nimmt er noch einen Kaffee. Die Kellnerin gibt die Bestellung in ein Gerät ein, das sie in der Hand hält, und liest sie ihm zur Sicherheit noch einmal vor.
    »Und noch einen Kaffee«, sagt er und zeigt auf Maris Tasse. »Gut, noch einmal Kaffee.«
    Der junge Mann sieht der Kellnerin nach. »Magst du kein Huhn?«, fragt er.
    »Das ist es nicht«, sagt Mari. »Aber ich esse nie Huhn im Restaurant.«
    »Warum nicht?«
    »Weil das Huhn, das sie in Restaurantketten servieren, mit Massen von Medikamenten vollgestopft ist. Mit Wachstumshormonen und so. Das Geflügel ist in engen, dunklen Käfigen zusammengepfercht, kriegt jede Menge Spritzen und wird mit Futter aufgezogen, das Chemikalien enthält. Dann kommen die Viecher auf ein Fließband, wo ihnen maschinell das Genick gebrochen wird. Danach werden sie ebenfalls maschinell gerupft.«
    »Wow!«, sagt er. Und lächelt. Dabei vertiefen sich die Falten in seinen Augenwinkeln. »Hühnchensalat à la George Orwell.«
    Mari mustert ihn mit zusammengekniffenen Augen. Sie kann nicht beurteilen, ob er sich über sie lustig macht.
    »Trotzdem, der Hühnchensalat hier ist nicht schlecht. Wirklich!«, sagt er und zieht sich, als sei es ihm jetzt erst eingefallen, die Lederjacke aus, faltet sie zusammen und legt sie auf den Sitz neben sich. Dann reibt er sich über dem Tisch die Hände. Unter der Lederjacke trägt er einen grünen, grob gestrickten Pullover mit rundem Ausschnitt. An einigen Stellen hängen lose Wollfäden heraus, was irgendwie an seine Haare erinnert. Er scheint ein Typ zu sein, der nicht sehr auf sein Äußeres achtet.
    »Wir haben uns damals in einem Hotel-Schwimmbad in Shinagawa kennen gelernt, stimmt's? Im Sommer vor zwei Jahren. Erinnerst du dich?«
    »Vage.«
    »Ein guter Freund von mir, deine Schwester, du und ich. Wir waren zu viert. Mein Freund und ich hatten gerade mit der Uni angefangen. Du warst wahrscheinlich in der elften Klasse. Oder?« Mari nickt, nicht sonderlich interessiert.
    »Mein Freund war damals mit deiner Schwester zusammen und hat mich zu so etwas wie einem Doppel-Date mitgenommen. Irgendwoher hatte er vier Freikarten für diesen Swimmingpool bekommen.
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