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Aeternum

Aeternum

Titel: Aeternum
Autoren: Andrea Bottlinger
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Gefühl und eines, das ihm weniger fremd erschien als Mitleid oder ein schlechtes Gewissen. Dennoch überraschte es ihn. Die Menschheit als Ganzes war ohne Zweifel schützenswert, aber einzelne Menschen starben so unglaublich schnell. Einen davon ins Herz zu schließen konnte auf Dauer nur den Schmerz des Verlustes bedeuten.
    Im nächsten Moment verstummte das Geräusch des Fernsehers hinter der Wohnzimmertür. »Hey, Jul? Bist du das?«
    Erleichtert atmete er auf, aber ehe er antworten konnte, erklang die Stimme seiner Mitbewohnerin erneut.
    »Komm mal her, Mann! Ich muss dir was zeigen.«
    Jul warf sich die Jacke über die Schulter und steuerte auf die Wohnzimmertür zu. Was Karin wohl gefunden hatte? Es konnte genauso gut etwas Wichtiges wie irgendeiner der Internet-Witze sein, die Jul nie verstand, egal ob es dabei um Technik ging oder, was erstaunlich oft der Fall war, um Katzen. Bei Karin wusste man nie, was einen erwartete.
    Die Wohnzimmertür stieß beim Öffnen gegen einen leeren Pizzakarton und schob ihn beiseite. Auch in diesem Raum bedeckten weiße Krümel jede freie Oberfläche, nur das Sofa hatte jemand notdürftig freigeklopft. Karin saß im Schneidersitz zwischen den Kissen. Ihre nackten Zehen lugten aus den zerfetzten Hosenbeinen einer Jeans, Staub hing in ihrem zerwühlten, rot gefärbten Haar, und das heutige T-Shirt trug den Aufdruck: »Loading …« Auf einem Knie balancierte sie ihren Laptop, und als sie sich mit ernster Miene nach Jul umsah, spiegelten sich die stummen Bilder des Fernsehers in ihren Brillengläsern. Gerade diskutierten ein Mann und eine Frau in einem Studio über irgendetwas.
    »Was weißt du über das Erdbeben von vor zwei Stunden?«
    Mit plötzlich erwachter Neugier trat Jul näher. Wenn Karin ihm etwas Besonderes zu aktuellen Ereignissen zeigen wollte, war es sicher mehr als das, was in den Nachrichten rauf und runter lief. In der Zeit, die sie nun schon zusammenlebten, hatte er schnell bemerkt, dass sie ein Talent dafür besaß, Geheimnisse auszugraben.
    »Ich weiß nur, dass der Fernsehturm schief steht und keine einzige S-Bahn mehr fährt. Ich bin heimgelaufen.«
    Karin warf ihm einen ungläubigen Blick zu und schüttelte dann den Kopf. »Hättest du angerufen, hätt’ ich dich abgeholt.«
    Mit einem Schulterzucken warf Jul seine Jacke über das Sofa und stützte sich von hinten auf die Lehne, um seiner Mitbewohnerin über die Schulter sehen zu können. »Handy vergessen.«
    Es war eines, sich der Nützlichkeit von Technik bewusst zu sein, aber etwas ganz anderes, sie zu mögen. Etwas in Jul sträubte sich dagegen, ein Gerät ständig mit sich herumzutragen, dessen Funktionsweise er im Gegensatz zu der einer Pistole nicht vollständig verstand und an dessen Entwicklung höchstwahrscheinlich ein Dämon finanziell beteiligt gewesen war. Deshalb blieb das kleine Telefon, zu dessen Kauf Karin ihn überredet hatte, meist zu Hause liegen. Aber wie sollte er ihr das erklären, ohne zu verraten, was er war?
    »Was willst du mir zeigen?«
    Seine Mitbewohnerin tastete zwischen den Kissen nach der Fernbedienung und schaltete um. Die beiden ernst dreinblickenden Moderatoren wichen einer Luftaufnahme, noch immer ohne Ton. Unwillkürlich gruben sich Juls Finger fester in die Sofalehne. Er erkannte die glänzende Kugel des Berliner Fernsehturms, der sich beinahe so weit zur Seite neigte wie der schiefe Turm von Pisa. Im ersten Moment schien es, als fiele er gerade.
    Doch das war nicht der Grund für Juls Entsetzen.
    Am Fuß des Turms, wo der S-Bahnhof Alexanderplatz gestanden hatte, führten nur noch verbogene Schienen ins Nichts. Der Kaufhof war fort, ebenso die Weltzeituhr und alle Gebäude, die rings um den Alexanderplatz gestanden hatten. Anstelle des Platzes selbst klaffte ein Krater im Boden, wahrscheinlich mehr als hundert Meter breit. Die Luft darüber schien zu flimmern, verzerrte die Konturen der Trümmerstücke. Jul hielt den Atem an. Was auch immer in Berlin vorging, war größer, als er bisher angenommen hatte.
    »In den Nachrichten heißt es, die U-Bahn-Tunnel und der Bunker unter dem Platz wären eingestürzt.« Karins Stimme war heiser vor Aufregung. »Kam mir gleich seltsam vor. Ich mein, es war ein ziemlich ekliges Erdbeben, aber wir reden hier von einem verdammten Bunker. Da sollte man Bomben draufschmeißen können, ohne dass was passiert. Also hab ich gegoogelt und das Video hier gefunden.«
    Sie fuhr über das Touchpad ihres Laptops, und der bisher dunkle
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