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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind
Autoren: Carolin Wittmann
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gegessen, wohingegen eine Freundin von mir, die vor ein paar Jahren Windpocken bekam, fast zwei Monate ausfiel und von den vielen Medikamenten und dem Vanilleeis im Krankenhaus ganz dick wurde. Dick wurde ich in der Pubertät zwar auch, aber immerhin nicht wegen so was Blödem wie den Windpocken. Papa sei Dank.

2. Jeder hat sein Kreuz zu tragen
    Wenn ich in der Schule erzählte, dass mein Papa Arzt ist, wurde ich von meinen Mitschülern immer mit großen Augen und vor Neid erblassten Gesichtern angesehen.
    »Boah, voll toll«, sagten sie dann, »ihr macht bestimmt voll viel Urlaub, und dein Papa hat voll viel Geld!«
    Das stimmte, zumindest zum Teil. Wir waren wirklich oft in Urlaub − zumindest planten wir viel Urlaub, denn das sei allen Nicht-Ärztekindern, die dieses Buch lesen, gesagt: Wo Licht ist, ist auch Schatten.
    Der Urlaub war die einzige Zeit im Jahr, in der wir Kinder unseren Vater mal wirklich für uns hatten. Wenn wir es überhaupt bis in den Urlaub schafften. Denn meistens übernahm mein Vater so viele Dienste von anderen Ärzten, dass viele der Patienten dachten, mein Vater habe immer Dienst, auch sonn- und feiertags, auch nachts, auch dann, wenn eigentlich ein anderer Arzt zuständig war, und vor allem dann, wenn wir eigentlich gerade in den Urlaub fuhren.
    Als wir einmal kurz nach Weihnachten in die Skiferien aufbrechen wollten, klingelte es bei uns an der Wohnungstür. Meine Mutter hatte gerade die letzten Reisetaschen gepackt und uns Kinder in unsere neonfarbenen Skijacken gesteckt und sah meinen Vater vorwurfsvoll an.
    »Fritz«, sagte sie mit ihrer besten Das-ist-ja-mal-wieder-typisch-Stimme, »ich sag’s dir gleich: Mach’s kurz!«
    Mein Vater sagte: »Schatz, reg dich nicht auf, das gibt Wochenend- und Nachtzuschlag!«, und hüpfte beschwingt die Stufen zur Praxis runter. Meine Mutter sagte uns, dass es sich nur um ein paar Minuten handeln dürfe, und gab uns die Anweisung, uns schon mal ins Auto zu setzen. Also schulterten wir unsere kleinen bunt bedruckten Rucksäcke, bückten uns nach unseren Kassettenkoffern und machten uns auf den Weg nach draußen.
    Im Auto angekommen, gab es die üblichen Diskussionen darüber, wer in der Mitte und wer am Rand sitzen durfte. In der Regel kam Anne in die Mitte, denn sie musste beim Autofahren meistens kotzen, und so konnte Mama ihr die Tüte schneller anreichen. Juliane und ich drückten uns dann immer so nah wie möglich an die Autotüren, die Nase im geöffneten Spalt der Fensterscheibe, und flehten meine Mutter an, Anne endlich die Anti-Kotz-Kaugummis zu geben. Leider halfen die nie besonders gut, denn sie kübelte in der Regel lustig weiter.
    Im Laufe der Jahre hat ihr Gehirn sogar eine Art psychosomatische Verbindung zwischen Übergeben im Auto und Pfefferminzkaugummis hergestellt, sodass sie bis heute jedes Mal sauer aufstoßen muss, wenn sie Minze schnuppert.
    Dieses Mal, so beschloss ich, würde alles anders werden. Ich war neun und meine Schwestern sechs und sieben, deswegen war klar, wer körperlich, geistig und argumentativ (notfalls unter Zuhilfenahme von roher Gewalt) das Sagen hatte. Wie bei allen anderen Dingen im Leben auch macht es keinen Sinn, jemand anderem etwas einfach zu befehlen – das stiftet nur Unfrieden und sorgt dafür, dass sich das gemeine Volk irgendwann gegen den Herrscher auflehnt. Es ist immer zu empfehlen, dem vermeintlich Schwächeren das Gefühl zu geben, das, was nur er hat oder kann, sei das Tollste der Welt und man beneide ihn aufrichtig um sein großes Glück. In der Praxis hatte ich dieses Vorgehen schon oft in umgekehrte Richtung geübt, wenn meine Schwestern beispielsweise den Gameboy oder die schönere Barbie oder das bessere Pixi-Büchlein ergattert hatten und ich mich mit einem blöden Lustigen Taschenbuch und Micky Maus oder Donald Duck herumschlagen musste. Dann kicherte ich beim Lesen des Buches so laut und beherzt, dass meine Schwestern, mit denen ich mich noch kurz zuvor um Gameboy, Barbie und Pixi-Buch gestritten hatte, neugierig aufsahen.
    »Oh Mann«, sagte ich dann immer, »bin ich froh, dass ich dieses sehr lustige Taschenbuch habe – viel besser als der blöde Gameboy. Behaltet ihn ruhig, ich will ihn nicht haben, ich habe dieses sehr, sehr lustige Taschenbuch!«
    Und keine halbe Minute später konnte ich Stein und Bein schwören, dass meine Schwestern den Gameboy oder die Barbie aus der Hand legten und mich anflehten, ja darum bettelten, auch mal einen Blick in das Lustige Taschenbuch
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