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Ärger mit dem Borstenvieh

Ärger mit dem Borstenvieh

Titel: Ärger mit dem Borstenvieh
Autoren: Holgate John
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grau und wie unappetitlicher Haferschleim aussah. Dieser Brei wurde — zumindest am Anfang — sogar mit Löffeln den kleinen Knirpsen mit den Ringelschwänzchen eingeflößt. Doch man muß fair ihnen gegenüber sein: bald konnten sie das Zeug ganz allein aus einer flachen Emailleschüssel aufschlürfen.
    Vier Tage nach dem Werfen lag die Sau immer noch apathisch da. Sie verweigerte jegliche feste Nahrung und nahm nur eine Mischung aus Glukose, Milch und Wasser zu sich, indem wir ihr einen Kunststofftrichter seitlich ins Maul schoben und die Flüssigkeit so hineintröpfelten.
    »Hm«, machte der junge Tierarzt, nachdem er diese Prozedur beobachtet hatte. »Es gefällt mir nicht, Mr. Holgate, wie sie aussieht.« Was mich betraf, so war diese Bemerkung sehr untertrieben.
    Das Wissen darum, daß die kranke Sau dort herumlag, bedrückte die ganze Familie. Unsere Depression verstärkte sich noch, als die Ferkel zu sterben anfingen, trotz der zärtlichen Fürsorge von Shirley. Eines Morgens lagen zwei tot im Stroh, und ein drittes starb am nächsten Tag. Als ich Shirleys Miene sah, fand ich, daß die Schicksalsgöttinnen grausam mit ihr umgingen und daß mit Sicherheit diese Bauersfrau eine bessere Belohnung für ihre Mühen verdient hätte.
    Erfreulicherweise wendete sich das Blatt zum Guten. Eine Woche nach dem Ferkeln schob John eine Schüssel frischer Futterkonzentrate unter Annies Schnauze, und — zu unserem Erstaunen — unternahm sie einen Versuch, auf die Beine zu kommen. Sofort ließen wir alles stehen und liegen: Wir zogen und schoben, um sie hochzubekommen. Schließlich holten wir uns ein Seil, polsterten es mit einem zusammengerollten Sack aus, schoben es unter sie und hievten wie die Matrosen, die ein aufgelaufenes Schiff von den Felsen loskriegen wollten. Wir schwitzten und waren völlig außer Atem, als Annie eine letzte Anstrengung ihrerseits unternahm, um sich hochzustemmen. Schwach und zitternd zwar, aber schließlich stand sie ohne Hilfe auf ihren vier Beinen. Nach einigen Minuten hatte sie sich so weit unter Kontrolle, daß sie ihren Kopf nach vorn beugen und das süß duftende Schweinefutter erreichen konnte, welches sie zu dieser Anstrengung angestiftet hatte. Auf Zehenspitzen schlichen wir hinaus; wir hatten Angst, daß unsere Stimmen sie vielleicht ablenken und stören könnten. Am nächsten Morgen war der junge Tierarzt genauso glücklich wie wir, als er den Fortschritt in Augenschein nahm.
    Trotzdem vergingen noch mehrere Tage, bevor Annie stark genug war, um in ein größeres Gehege zusammen mit ihrer Familie gebracht zu werden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ferkel bereits unabhängig und sehr wohl in der Lage, sich selbst zu verteidigen.
    Als sie zusammengeführt wurden, standen wir in nervöser Unruhe dabei, um sofort einzugreifen, falls Annie sie nicht annehmen sollte. Aber unsere Angst war überflüßig. Ganz aufgeregt lief das Sextet, welches überlebt hatte, um sie herum. Sie quiekten und sprangen hoch, um an die trockenen, schrumpeligen Zitzen zu gelangen. Annie beroch jedes einzelne, dann legte sie sich hin, streckte sich aus und war zufrieden, daß die Kleinen auf ihr herumkrabbelten.
    Abgesehen vom Säugen war Annie eine ausgezeichnete Mutter. Die Ferkel schlangen rasch ihr Futter herunter und rannten dann wieder schnellstens zu ihr zurück, um gewärmt und von ihr beschützt zu werden. Eigentlich sollte diese Geschichte daher ein Happy End bekommen. Aber wie so oft in Geschichten, die mit einem Bauernhof zu tun haben, konnte es auch hier kein Ende geben, das völlig zufriedenstellend gewesen wäre.
    Wir hörten auf den Tierarzt und ließen Annie nie wieder von einem Eber decken. So wurden also ihre Ferkel als Spanferkel im Alter von neun Wochen verkauft. Sie wurde in einen Stall getan, der kleiner war, und erhielt soviel Futter, wie sie nur wollte. Doch leider taten wir das nicht aus lauter Tierliebe. Nein, die arme Annie war dazu bestimmt, gemästet zu werden, damit wir sie später auf dem Markt als Fleischschwein verkaufen konnten.
    Was John und mich betraf, so nahmen wir uns fest vor, in Zukunft auf Shirleys weibliche Eingebung ein wenig ernsthafter zu hören, als wir das in der Vergangenheit getan hatten.

29

Eine abgetragene, fadenscheinige Landschaft

    D ie Blätter fingen an herabzufallen; wie Münzen, hingestreut von einem betrunkenen Landstreicher, lagen sie unter den Bäumen. Wir hatten November. Die Landschaft sah allmählich recht abgetragen und an den Ellbogen
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