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Ärger mit dem Borstenvieh

Ärger mit dem Borstenvieh

Titel: Ärger mit dem Borstenvieh
Autoren: Holgate John
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Uhrzeit den Weg hierher zu machen. Ich ging ans Telefon und sprach mit ihm.
    »Hör gut zu«, sagte er, nachdem ich ihm von unseren erfolglosen Versuchen berichtet hatte. Dann fuhr er fort, mir Schritt für Schritt ganz genau zu erklären, was zu tun wäre. Ich versprach zurückzurufen, falls das notwendig werden sollte. »Ich bin auf jeden Fall hier«, sagte er. »Ruf jederzeit an.«
    Wieder im Gehege, versuchten wir’s aufs neue. Als erstes mußten wir das Kalb zurückstoßen, um Platz zum Arbeiten zu schaffen. Das hörte sich zwar leicht an, aber die Anstrengung, um das auszuführen, brachten mich zum Schwitzen. Doch endlich fing das Kalb an sich zu bewegen. Als nächstes mußte das Kniegelenk irgendwie gerichtet werden. Ganz langsam und vorsichtig führte ich meine Hand ein und hielt sie ganz flach gegen das Kalb gepreßt, bis ich das Knie spürte und zwei Finger darumlegen konnte. Durch gleichmäßiges anhaltendes Ziehen brachte ich es nach vorn, renkte es ein und bog das Bein um. Zum Schluß, so hatte Griff gesagt, sollte man die Vorderbeine in die richtige Geburtsstellung bringen, wobei Schnauze und Hufe zur gleichen Zeit auftauchen. Auch dabei gab es zunächst einen anfänglichen Widerstand, aber schließlich schafften wir es. Vor Erleichterung fingen meine Hände an zu zittern.
    »Vielleicht müssen wir es trotzdem noch herausziehen«, meinte John. Doch das wurde nicht notwendig. Nach weiteren fünfzehn Minuten war alles vorbei. Die Kuh bekam wieder Wehen, womit es so gut wie .vorbei gewesen war, und diesmal konnte ich das Kalb bei den Vorderbeinen packen und mithelfen. Schließlich gab diese arme, schon so lange leidende Kreatur ein tiefes Stöhnen von sich. Sie hatte fast gar nicht gegen meine Fummeleien protestiert, doch jetzt setzte sie zu einer letzten äußersten Anstrengung an — und das Kalb rutschte auf das Strohlager im Gehege.
    Es war ein kleines schwarzweißes Färsenkälbchen. Im ersten Augenblick lag es wie leblos da, doch dann beugte sich John zu ihm herab, reinigte Mäulchen und Nase von dem Schleim und jetzt rang es plötzlich nach Luft.
    »Es ist furchtbar erschöpft«, sagte John.
    Ich konnte mir vorstellen, wie dem Kälbchen zumute war.
    Die Kuh, durch die Kette um den Hals behindert in ihren Bewegungen, drehte sich ängstlich um und versuchte, zu dem schlaffen kleinen Tierchen zu gelangen. Wir trugen das Kalb in ihre Reichweite und gingen einen Schritt zurück, als sie mit ihrer rauhen, belebenden Zunge das Kleine anfing zu bearbeiten. Zunächst waren die Atemzüge des Neuankömmlings noch unregelmäßig, aber bald stellte sich ein regelmäßiger Rhythmus ein.
    »Wir sind hier jetzt nicht mehr erwünscht«, sagte mein Sohn.
    Er hatte recht. Wir befreiten die Kuh von der Kette und gingen hinaus, das Licht ließen wir an.
    Als wir ins Haus kamen, sprach Shirley gerade mit Griff am Telefon. »Alles vorbei«, sagte ich zu ihm, als ich den Hörer in die Hand nahm. »Ein kleines Färsenkälbchen. Und wie sieht’s bei euch da oben aus?«
    »Sind alle gegangen«, antwortete er. »Nur noch ich und die Missus sind hier, wir waschen ab. Es ist nämlich ein Uhr. Fröhliche Weihnachten.«
    »Frohe Weihnachten«, sagte ich und hing ein.
    Meine Frau kochte Kaffee. Er duftete herrlich.
    »Und was macht der Weihnachtsmann?« fragte ich, als sie ein Tablett hereintrug.
    »Er war schon da und ist wieder fort, konnte auf dich nicht warten«, lächelte sie. »Ich laß dir’s Wasser einlaufen, damit du noch schnell baden kannst, bevor wir ins Bett gehen.«
    John hatte sich bereits in der Küche gewaschen. Er nahm seinen Kaffeebecher, ging hinauf in sein Zimmer und wünschte uns mit müder Stimme eine gute Nacht.
    Die Ereignisse der letzten Stunden hatten mich ganz schön mitgenommen. Ich hatte noch immer das völlig verschmutzte Unterhemd an, mir wurde plötzlich kalt und bewußt, daß ich mich noch nicht gewaschen hatte. Wie Nektar schmeckte der Kaffee. Ich trank ihn, ohne mich hinzusetzen. Dabei sah ich mich in dem Zimmer um mit seinen weiß getünchten Wänden, den dunklen Balken, den schief hängenden, selbstgebastelten chinesischen Latern-chen, den Papierschlangen und dem mit Flitter behangenen Baum.
    »Weihnachten auf dem besch... Land!« sagte ich voller Selbstmitleid.
    Shirley lachte — eine schlanke hübsche Frau in einem blauen Hausmantel aus Wolle. »Das wollten wir doch! Frohe Weihnachten, Farmer Holgate!«
    »Frohe Weihnachten, Frau.«

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