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Ärger mit dem Borstenvieh

Ärger mit dem Borstenvieh

Titel: Ärger mit dem Borstenvieh
Autoren: Holgate John
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gehört.
    »Ausgerechnet heut nacht!«
    Der Siebzehnjährige grinste. »Komm und sieh dir’s selbst an. Ich hab’ sie in das leere Gehege gebracht und dort Stroh ausgelegt.«
    Ich zog einen wattierten Anorak und Gummistiefel über und ging mit ihm hinaus.
    Phlegmatisch zupfte die Kuh an dem Heu, das vor ihr in der Raufe lag, aber das Licht der nackten Glühbirne reichte aus, um zu erkennen, daß hinten eine Schleimspur herunterlief. Der Kalbungsvorgang hatte bereits begonnen! Eine Auswahl an Flüchen kam über meine Lippen.
    »Wir wollten doch für ein paar Stunden rauf zur >Schmiede< gehen.«
    »Ihr könnt ruhig gehen«, erwiderte John. »Ich bleib’ hier. Ich weiß ja, wo ihr steckt, und falls alles gutgeht, wird niemand von uns nötig sein.«
    Er hatte recht: so verblieben wir miteinander.
    Es war bereits nach neun Uhr, als wir das Auto parkten und in die Gastwirtschaft hineingingen. Drinnen war es gedrängt voll. Doch sobald wir durch die Tür getreten waren, wurden wir von unseren Freunden begrüßt. »Los, Jacky, sei fröhlich«, sagte der dicke Aaron, der oben am Berg wohnte, zu mir und drückte mir ein volles Bierseidel in die Hand. »Morgen ist Weihnachten, Friede auf Erden! Du machst ein Gesicht wie dreißig Tage Regenwetter.«
    Er sah recht >elegant< in seinem guten Anzug aus; das Hemd war richtig zugeknöpft, und er hatte auch einen Schlips um, dessen Knoten sich allerdings bis fast unters Ohr selbständig gemacht hatte. Diese Eleganz wurde durch die Anwesenheit seiner molligen Frau Ria erklärbar, die neben sich Platz gemacht hatte, damit Shirley sich dorthin setzen konnte.
    »Großer Gott!« rief Old Jonathon laut — adrett und ordentlich angezogen in seinem Anzug aus der Zeit König Edwards und mit steifem Kragen —, als ich ihm von dem Kalb erzählte, »Dem alten Mädchen kann niemand von uns irgend etwas beibringen.« Setzt euch ruhig hin und amüsiert euch. Solche wie diese gibt’s nicht in London, wetten?« >
    Ganz bestimmt gab’s das nicht in London, soweit ich wußte. >Solche< waren die sogenannten Darts Club Glee Singers, sechs bierbäuchige Männer, die man mit Frisörkitteln und falschen schwarzen Bärten ausgerüstet hatte. Ein Pianist sowie zwei Banjo-Spieler mit Strohhüten und Blazern begleiteten sie. Meistens sangen sie nostalgische Lieder aus den zwanziger Jahren und beliebte Weihnachtslieder. Sie machten ihre Sache sehr gut, auch wenn die großzügige Gastfreundschaft allmählich ihre musikalischen Fähigkeiten übertrumpfte. Doch niemand störte den gelegentlichen falschen Ton, und wenn sie den richtigen Text vergaßen, machten die Zuhörer nahtlos weiter.
    Der Star des Abends war Little Taffy Beniams mit seinem Akkordeon oder, wie Aaron es nannte, mit seiner Quetsche. Er hatte bereits ein beachtliches Alter, und er sang Volkslieder, die ich noch nie zuvor in meinem Leben gehört hatte. Einige waren lustig, einige zotig, und einige riefen auf eine merkwürdige Weise eine Lebensform aus der Vergangenheit zurück, die längst vorüber war.
    Die Darbietungen machten uns großen Spaß, aber mir ging die Kuh nicht aus dem Kopf. Daher verabschiedeten wir uns trotz des Protestes, als die Feierei noch in vollem Gang war, riefen allen Anwesenden ein >Frohes Weih-nachtsfest< zu und fuhren fort.
    Die Nacht war kalt unter einem Himmel, der sich mit leichten Wolken überzog, Frost glitzerte auf der Straße, und Hecken wie Wegränder waren mit Schnee bedeckt. Als wir in unseren Weg einbogen, hielten die Scheinwerfer ein Kaninchen solange in ihrem Strahl gebannt, bis ich an dem Schalter knipste und es damit befreite.
    Als er das Auto kommen hörte, kam John vom Viehhof herüber. »Ärger«, sagte er nur. »Das Kalb steckt fest. Ich hätte es jetzt schon draußen, wenn sein Bein nicht verdreht wäre.«
    Ich ging ins Haus und zog mir wieder Arbeitszeug an. Die Uhr über dem Kamin zeigte zehn Minuten vor elf an.
    Aus Sicherheitsgründen war die Kuh mit einer Kette um den Hals an einen Pfahl gelegt worden. Ich zog mich bis aufs Unterhemd aus, rieb Hand und Arm mit Seife ein und ertastete das Kalb. Tatsächlich war ein Bein völlig verdreht und lag unterhalb seines Körpers, wodurch die Geburt verhindert wurde. Es fühlte sich unbeweglich an.
    Zwanzig Minuten lang murksten wir herum und versuchten herauszubekommen, wie man das beheben konnte. Shirley kam über den Hof zu uns. »Griff ist am Telefon. Braucht ihr Hilfe?« Es wäre zuviel verlangt gewesen, unsere feiernden Freunde zu bitten, um diese
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