Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Äon - Roman

Titel: Äon - Roman
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
seltsames Geräusch hallte durch die Katakomben, ein dumpfes Heulen, das schnell anschwoll und zu einem Kreischen wurde, so laut und schrill, dass Ignazio seine Hände an die Ohren presste. Er schnitt eine Grimasse, als das Kreischen eine schmerzhafte Intensität gewann und alles vibrieren ließ: die Trommelfelle, trotz der zugehaltenen Ohren, Kopf und Schultern, den ganzen Körper bis hin zu den Zehenspitzen. Und von dort pflanzten sich die Vibrationen im Boden der Höhle fort, erreichten die Wände, zerrten an Knochen und Totenköpfen. Scharfes Klirren gesellte sich dem Kreischen hinzu, als das Glas der Lampen splitterte und die meisten erloschen.
Schatten sprangen aus den Tunneln in die Höhlen. Staub rieselte von der gewölbten Decke, und erste Knochen lösten sich aus den Wänden.
    Ein heftiger Stoß traf Ignazio, und etwas schien ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen. Er fiel, tiefer als erwartet, und der Aufprall war so heftig, dass er für einige Sekunden nicht atmen konnte. Schreie erklangen irgendwo in der Dunkelheit, verloren sich fast in dem Kreischen, das noch immer durch die Katakomben hallte, laut genug, um Wände, Böden und Decken erbeben zu lassen. Ignazio hob schützend die Hände über den Kopf, als weitere Knochen und Schädel herabfielen, zusammen mit Staub und Steinen. Er glaubte schon, das Schlimmste überstanden zu haben, doch plötzlich gab der Boden unter ihm nach, und er rutschte seitlich in die Tiefe, wie über eine steile Rampe. Instinktiv versuchte er, sich irgendwo festzuhalten, bekam etwas zu fassen und schloss die Hand darum. Nur einen Augenblick später traf ihn etwas am Kopf, mit solcher Wucht, dass ihm für ein oder zwei Sekunden die Sinne schwanden. Er rutschte noch ein wenig tiefer und blieb schwer atmend liegen, umgeben von Finsternis.
    Das Kreischen hatte aufgehört, und auch das Donnern und Krachen im Tunnel- und Höhlensystem der Katakomben fand ein Ende. Für einige Sekunden herrschte Stille, und dann erklangen irgendwo weiter oben Stimmen. Ignazio verstand nicht, was sich die Männer gegenseitig zuriefen, doch schließlich glaubte er, einige englische Worte zu hören.
    »Ich bin hier!«, stieß er hervor. »Hier unten.« Er bewegte sich, geriet aber sofort wieder ins Rutschen und blieb still liegen.
    Oben tastete das Licht von Taschenlampen durch die Dunkelheit.

    »Signor Giorgesi?«, fragte der Schemen hinter einer der Lampen.
    »Ich bin hier unten …«
    »Ich sehe Sie. Bleiben Sie ganz ruhig liegen, Signor Giorgesi. Bewegen Sie sich nicht.« Das Licht tanzte über die Knochen, während sich oben der eine Schemen - Tanner - mit einem anderen beriet. Dann: »Es kann niemand zu Ihnen hinabklettern, Signor Giorgesi. Knochen und Gestein könnten wegrutschen, und dann würde alles in die Tiefe stürzen, auch Sie. Wir lassen ein Seil zu Ihnen hinab. Glauben Sie, Sie können sich daran festhalten, während wir Sie nach oben ziehen?«
    »Ja«, antwortete Ignazio. »Ja, ich denke schon.« Staub kratzte in seiner Kehle. Er begann zu husten, hörte aber sofort damit auf, als er erneut ins Rutschen geriet. Vorsichtig hob er den Kopf - und blickte in einen tiefschwarzen Abgrund direkt neben ihm.
    Er erstarrte.
    Ein Seil kam von oben herab, baumelte wie auf der Suche nach ihm von einer Seite zur anderen.
    »Hören Sie mir gut zu, Signor Giorgesi«, erklang Tanners Stimme. »Sie liegen unmittelbar am Rand einer Abbruchkante. Bewegen Sie sich so wenig wie möglich, haben Sie verstanden?«
    Ignazio dachte an die grässliche Leere, nur einen halben Meter entfernt. Er wagte kaum mehr Luft zu holen.
    »Haben Sie verstanden?«, ertönte es oben.
    »Ja. Ja, ich habe verstanden.« Der Hustenreiz wurde wieder stärker. Ignazio presste die Lippen zusammen und kon zent - rierte sich auf das über ihm baumelnde Seil. Es kam noch etwas näher, war jetzt fast in Reichweite.

    Neben ihm gerieten einige Knochen in Bewegung und verschwanden in der Tiefe, gefolgt von Schutt.
    Ignazio schüttelte die Starre ab, hob beide Arme, bekam das Seil zu fassen und schloss die Hände darum. Ein dicker Knoten am Ende machte es ihm leichter, sich an dem Seil festzuhalten.
    Starke Arme zogen das Seil nach oben, langsam und gleichmäßig. Ignazio kniff die Augen zusammen und konzentrierte seine ganze Kraft auf die Hände, auf die um das Seil geschlossenen Finger. Das Knacken und Klappern von Knochen und Schädeln, die aufgeregten Stimmen der Männer, hier und dort das Stöhnen von Verletzten - dies alles
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher