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Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte

Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte

Titel: Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
Autoren: Barbara Dribbusch
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gehabt«, meint Steffen, »das Haar nimmt die Farbe gut an.« Was auch bemerkenswert ist am Altwerden: Es gibt ganz neue Möglichkeiten, bei irgendetwas Glück zu haben.
    »Goldblond ist sicher die beliebteste Farbe für Frauen ab 50 « sage ich, während Steffen weiter mit Kamm, Pinsel und den knisternden Folien hantiert. Steffen lächelt milde. Wir wissen beide, dass Goldblond keine besonders mutige Lösung ist: Wer vorne mit dabei sein will im Styling, der gibt sich offensiver und lässt seine weißen Strähnen großzügig stehen. Die US -Kultautorin Susan Sonntag beispielsweise lief in höherem Alter mit einem auffälligen Farbenmix aus weißen und schwarzen Strähnen herum. Das ist gewissermaßen die feministische Form der männlichen Chefarztästhetik mit den graumelierten Schläfen. Man münzt damit die Zeichen des Alters um in Signale von Würde und Überlegenheit.
    Die Foliensträhnen hat Steffen eingepackt. Jetzt ist die Haartönung dran, die er frisch zusammenrührt. »In gewisser Weise wird man im Alter farblich vielfältiger, ist doch auch interessant«, stellt er fest. »Du hast die goldblond gefärbten weißen und braunen Haare und die getönten braunen und weißen und dazwischen noch die natürlichen weißen und deine natürlichen braunen, die im Alter nochmal dunkler nachwachsen.« Die braunen Haare dunkeln tatsächlich nach im Alter, habe auch ich festgestellt. Vielleicht ist das ein letztes Aufbäumen, bevor sich die Pigmente in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden.
    Warum nicht eine schöne Ruine werden?
    Mit den Folienstreifen sehe ich aus wie ein Marsmännchen, das durch unzählige Antennen auf dem Kopf versucht, den Kontakt zur Erde herzustellen. Und die Erde muss merkwürdig sein, so aus Alien-Sicht. Die Menschen tun alles, um optisch jünger zu wirken. Doch die westlichen Erdbewohner fliegen auch Tausende von Kilometern weit gen Osten in den Himalaya, um die faltigen Gesichter der Mönche dort zu bestaunen, die keine Ahnung haben von Collagen und Haarfärbemitteln, sich aber einen guten Zahnarzt wünschen.
    Wir lieben jahrtausendealte Berge. Wir tragen dunklen Lack auf Holzmöbel auf, damit sie Patina bekommen. In meiner Kindheit gab es an unserem Urlaubsort in Österreich einen Bauern, der mit der Schrotflinte Löcher in alte Holzmöbel schoss, damit die Teile nach Holzwurm aussahen. Wir kaufen alte Häuser, weil wir das romantisch finden.
    Die Farbe auf meinen Haaren tut eine gute halbe Stunde ihr Werk. Später am Waschbecken zieht Steffen die Folien behutsam ab. »Was macht eigentlich die Sanierung?«, frage ich ihn. Er hat vor einem Jahr mit seinem Freund ein Fachwerkhaus in Brandenburg gekauft. Seitdem verbringen die beiden jedes Wochenende dort, entrümpeln und spachteln. »Die Feuchtigkeit ist noch nicht raus, aber wir arbeiten dran«, berichtet mein Friseur. »So ein altes Haus kann sich zur Lebensaufgabe entwickeln.« Steffen lässt das lauwarme Wasser sanft über meine Kopfhaut laufen.
    Wenig später klappert er mit der Schere durch meine Strähnen. Stufen machen die Haare lebendiger. Mein Friseur schneidet kürzer als noch vor zehn Jahren. Kinnlang soll am günstigsten sein. Zu lange Haare verlängern die vertikalen Alterslinien im Gesicht, und das wollen wir ja nicht.
    »Egal, in welchem Zustand sie sind: Alte Häuser haben einfach Atmosphäre«, schwärmt Steffen. »Ich habe schon als Kind auf dem Land in leer stehenden Häusern gespielt. Dieser Geruch und dieses Nachmittagslicht mit den geheimnisvollen Schatten.«
    Auch ich habe schon immer Ruinen geliebt. Da flitzen Mäuse umher, auf den Steinen wächst das Moos, durch die Fenster ranken Zweige herein, Wurzeln lassen Mauern bröckeln. In England ließen Adelige sogar Schlossruinen nachbauen, um sich dort in romantischen Betrachtungen zu ergehen. »Die Mischung aus Wehmut, Erregung und Neugier, die uns beim Anblick eines verfallenen Tempels, einer alten Frau mit nur noch einem Zahn oder des Fragments eines verlorengegangenen Gedichts befällt, ruft ein ganz eigenes Gefühl hervor, das Ruinengefühl. Es ist eindeutig im Bauchbereich angesiedelt und hat dieselbe heilsame Wirkung, wie in ein Kaminfeuer zu schauen oder sanftem Wellenschlag zu lauschen«, schwärmt der niederländische Biologe und Verfallsprofi Midas Dekkers.
    »Wenn dein Haus besuchbar ist, dann lade mich doch mal auf einen Wein zu euch ein«, schlage ich Steffen vor und setze nach: »Ich bringe natürlich eine Auswahl französischen Käses mit.« Es soll
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