Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Titel: Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
Autoren: Michael Robotham
Vom Netzwerk:
gern raus. Wir haben ihr ein paar Blätter mitgebracht. Sie wirbelt gern mit den Füßen Blätter auf. Keine Angst, sie ist kein Zombie oder eine Mumie. Sie kommt nicht von den Toten zurück. Sie ist im Himmel. Glauben Sie, dass es im Himmel Bäume gibt?«
    Der Friedhofswärter sieht sie vollkommen verdutzt an und braucht einen Moment, bis er begreift, dass die letzte Frage an ihn gerichtet ist. Es scheint, als hätte es ihm die Sprache verschlagen, er unternimmt einige erfolglose Anläufe zu sprechen, bevor seine Stimme ihn ganz im Stich lässt. Nunmehr vollkommen entwaffnet, geht er in die Hocke und sieht ihr direkt in die Augen.
    »Wie heißt du denn, Fräuleinchen?«
    »Charlie Louise O’Loughlin. Und Sie?«
    »Mr. Gravesend.«
    »Das ist ziemlich komisch.«
    »Ja, mag sein.« Er lächelt.
    Ungleich weniger warmherzig sieht er nun mich an. »Wissen Sie, wie viele Jahre ich schon versuche, den Mistkerl zu schnappen, der immer Blätter auf dieses Grab schüttet?«
    »Ungefähr fünfzehn?«, schätze ich.
    »Ich wollte sagen, dreizehn, aber ich glaube Ihnen gerne. Ich habe beobachtet, wann Sie kommen. Ich habe mir das Datum notiert. Vor zwei Jahren hätte ich Sie beinahe erwischt, aber da müssen Sie mit einem anderen Auto gekommen sein.«
    »Mit dem Wagen meiner Frau.«
    »Und im letzten Jahr hatte ich frei – ein Samstag. Ich habe dem jungen Whitney gesagt, er soll Ausschau nach Ihnen halten,
aber der hält mich für zwanghaft und meint, ich soll mich über einen Haufen Blätter nicht so aufregen.«
    Er stößt mit der Stiefelspitze gegen den anstößigen Haufen. »Aber ich nehme meinen Job sehr ernst. Die Leute kommen hierher und probieren alles Mögliche, sie pflanzen Eichen auf Gräber oder deponieren Spielzeug. Wo soll das enden, wenn wir so etwas durchgehen lassen?«
    »Muss ein harter Job sein«, sage ich.
    »Da haben Sie verdammt Recht!« Er sieht Charlie an. »Verzeihung, mein Fräulein.«
    Sie kichert.
    Mir fällt ein flackerndes Blaulicht am anderen Ufer des Kanals auf, und über seine Schulter hinweg sehe ich zwei Polizeiwagen, die neben einem dritten, bereits wartenden halten. Ihre Lichter spiegeln sich im Wasser und beleuchten stroboskopartig die Stämme der winterlichen Bäume, die wie Wächter zwischen den Gräbern stehen.
    Mehrere Polizisten starren in eine Mulde neben dem Kanal. Ihre Gesichter wirken erfroren, bis einer beginnt, die Stelle mit blau-weißem Polizeiband abzusperren, das er um Bäume und Zaunpfähle wickelt.
    Mr. Gravesend ist verstummt und weiß nicht, was er als Nächstes tun soll. Sein Plan reichte nur bis zu meiner Ergreifung, weiter ging er nicht. Außerdem hat er nicht erwartet, dass Charlie hier sein würde.
    Ich ziehe eine Thermoskanne aus meiner Manteltasche. In der anderen Tasche habe ich zwei Becher. »Wir wollten gerade einen heißen Kakao trinken. Möchten Sie auch einen?«
    »Sie können meinen Becher benutzen«, sagt Charlie. »Ich teile ihn mit Ihnen.«
    Er denkt darüber nach und fragt sich, ob man ihm das als Bestechlichkeit auslegen könnte. »So weit ist es also gekommen«, sagt er mit klarer sanfter Stimme. »Entweder ich lasse Sie verhaften oder ich trinke einen heißen Kakao.«

    »Mum hat gesagt, wir würden verhaftet«, meldet sich Charlie wieder zu Wort. »Sie hat gesagt, wir wären verrückt.«
    »Du hättest auf deine Mama hören sollen.«
    Ich reiche dem Friedhofswärter den einen, Charlie den anderen Becher an.
    »Herzlichen Glückwunsch, Tante Gracie«, sagt sie. Mr. Gravesend murmelt eine angemessen klingende Antwort, während er immer noch darüber staunt, wie schnell er kapituliert hat.
    In diesem Moment sehe ich zwei Kartons nahen, die über schwarzen Leggins und Turnschuhen durch das Halbdunkel schwanken.
    »Das ist meine Mum. Sie ist unser Wachposten«, stellt Charlie fest.
    »Nicht unbedingt ihre Stärke«, gibt Mr. Gravesend zurück.
    »Nein.«
    Julianne lässt die Kartons fallen und stößt einen überraschten Schrei aus, der ähnlich klingt wie Charlies.
    »Keine Sorge, Mum, du wirst nicht wieder verhaftet.«
    Der Friedhofswärter zieht die Augenbrauen hoch und Julianne lächelt matt. Wir teilen uns den heißen Kakao und plaudern. Mr. Gravesend erzählt von den Schriftstellern, Malern und Staatsmännern, die auf diesem Friedhof begraben liegen, und bei den meisten klingt es so, als wären sie seine persönlichen Freunde gewesen, obwohl sie schon seit einhundert Jahren tot sind.
    Charlie tobt durch die Blätter, bis sie unvermittelt erstarrt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher