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Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Titel: Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
Autoren: Michael Robotham
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Sie blickt den Hang zum Kanal hinunter. Bogenlampen sind eingeschaltet worden, und am Wasser wird ein Zelt aufgebaut. Aus einer Leuchtpistole werden mehrere Schüsse abgegeben.
    »Was ist da los?«, fragt sie neugierig und will hinuntergehen. Julianne zieht sie sanft an sich und legt den Arm um Charlies Schultern.
    Charlie sieht erst mich und dann den Friedhofswärter an. »Was machen die da?«

    Niemand antwortet. Stattdessen beobachten wir schweigend das Geschehen, von einem Gefühl niedergedrückt, das über Trauer hinausgeht. Die Luft ist kälter geworden und riecht nach Feuchtigkeit und Verwesung. Das markerschütternde Kreischen von Stahl in einem entfernten Lagerhof klingt wie ein Schmerzensschrei.
    Auf dem Kanal ist ein Boot. Männer in fluoreszierenden gelben Westen beugen sich über den Rand und leuchten mit Taschenlampen ins Wasser. Andere gehen in einer Reihe langsam mit gesenkten Köpfen an den Ufern entlang und suchen jeden Zentimeter ab. Hin und wieder bleibt einer stehen und bückt sich. Die anderen warten, um die Reihe nicht aufzulösen.
    »Haben die was verloren?«, fragt Charlie.
    »Psst«, flüstere ich.
    Juliannes Gesicht wirkt nackt und verletzlich. Sie sieht mich an. Zeit zu gehen.
    In diesem Moment hält ein Leichenwagen neben dem Zelt. Die Hecktüren gehen auf, und zwei Männer in Overalls ziehen eine Bahre auf einen zusammenklappbaren Rollwagen.
    Rechts hinter mir taucht ein Polizeiwagen auf, der, gefolgt von einem weiteren Wagen, mit flackerndem Licht, aber ohne Sirene durch das Friedhofstor fährt.
    Mr. Gravesend ist bereits unterwegs zum Parkplatz und seinem Wärterhäuschen.
    »Los, komm, wir gehen jetzt besser«, sage ich und kippe den letzten Schluck Kakao aus. Charlie begreift immer noch nichts, spürt jedoch, dass sie lieber den Mund halten sollte.
    Ich öffne die Wagentür, und sie rutscht auf die Rückbank, um der Kälte zu entkommen. Über die Kühlerhaube hinweg sehe ich, dass der Friedhofswärter sich achtzig Meter entfernt mit den Polizisten unterhält und in Richtung Kanal weist. Ein Block wird gezückt, Einzelheiten werden notiert.
    Julianne sitzt auf dem Beifahrersitz. Sie möchte, dass ich fahre. Mein linker Arm zittert. Ich packe den Schaltknüppel,
damit es aufhört. Als wir an den Polizeiwagen vorbeifahren, blickt einer der Beamten auf. Er ist ein Mann mittleren Alters mit pockennarbigen Wangen und kampferprobter Nase. Er trägt einen zerknitterten grauen Mantel und einen zynischen Ausdruck im Gesicht, als wäre dies nicht das erste Mal und würde trotzdem nie leichter werden.
    Unsere Blicke treffen sich, und er sieht direkt durch mich hindurch. In seinen Augen liegt kein Licht, keine Geschichte, kein Lächeln. Er zieht eine Augenbraue hoch und dreht den Kopf zur Seite. Aber da bin ich schon an ihm vorbei. Ich halte noch immer den Schaltknüppel gepackt und suche verzweifelt den zweiten Gang.
    Als wir das Tor erreichen, blickt Charlie durch das Heckfenster zurück und fragt, ob wir nächstes Jahr wiederkommen.

3
    Ich gehe jeden Morgen durch den Regent’s Park zur Arbeit. Zu dieser Jahreszeit, wenn es kühler wird, trage ich rutschfeste Schuhe, einen Wollschal und ein Dauerstirnrunzeln im Gesicht. Von wegen globale Erwärmung. Man wird älter und die Welt kälter. Das ist eine Tatsache.
    Die Sonne schwebt wie ein blassgelber Ball am grauen Himmel, Jogger gleiten mit gesenkten Köpfen an mir vorbei und hinterlassen mit ihren Laufschuhen Abdrücke auf dem nassen Asphalt. Die Gärtner sollten eigentlich Knollen für den Frühling pflanzen, aber ich sehe sie im Geräteschuppen rauchen und Karten spielen, während ihre Schubkarren voll Wasser laufen.
    Auf der Primrose Hill Bridge blicke ich über das Geländer auf den Kanal. An dem Treidelpfad liegt ein einsames schmales Boot vor Anker, und vom Wasser steigt kräuselnd Dunst auf wie Rauchschwaden.

    Was haben die Polizisten gesucht? Wen haben sie gefunden?
    Ich habe gestern Abend Fernsehen geguckt und heute Morgen Radio gehört. Nichts. Ich weiß, dass es bloß morbide Neugier ist, doch irgendwie habe ich das Gefühl, Zeuge gewesen zu sein – wenn schon nicht des Verbrechens, so doch des anschließenden Grauens. Es ist wie in der Doku-Sendung über ungelöste Kapitalverbrechen, in der die Zuschauer aufgefordert werden, sich zu melden, wenn sie irgendwelche Informationen haben. Immer ist es jemand anderes, nie jemand, den wir kennen.
    Es nieselt, und als ich mich wieder in Bewegung setze, klebt die Feuchtigkeit an meiner
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