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Admiral

Admiral

Titel: Admiral
Autoren: T.C. Boyle
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nicht für immer war. Nur vorübergehend. Sie schwor sich, neue Bewerbungen zu schreiben und zu verschicken – aber dann stieg vor ihrem geistigen Auge das Gesicht ihrer Mutter auf, elend vom vielen Erbrechen, der Schädel so kahl und glatt wie eine Aubergine, und setzte ihr zu. Sie warf den Ball, damit der Hund ihm nachjagte. Sie ging mit ihm in den Park. Ließ die Tage an sich vorbeisegeln wie die dürren Blätter eines sterbenden Baums.
    Und dann, eines Nachmittags, als sie vom Hundepark zurückkehrte und Admiral an der Leine zerrte und der Himmel aufriss zu blendendem Sonnenschein und schneeweißen Wölkchen, deren Anblick ihr das Gefühl gab, als würde sie ebenfalls schwerelos dahinschweben, bemerkte sie eine Gestalt, die vor dem Haus der Strikers stand. Aus der Nähe sah sie, dass es ein junger Mann in ausgebeulten Jeans und T-Shirt war. Seine Haare waren zu rotblonden Dreadlocks gezwirbelt, und an sein Kinn klammerte sich ein Bärtchen in derselben Farbe. Er spähte über den Zaun. Zunächst dachte sie, er sei ein Einbrecher, doch dann verwarf sie den Gedanken: Er war harmlos, das sah man auf hundert Meter Entfernung. Sie bemerkte die Farbflecken auf seinen Jeans und fragte sich, ob er vielleicht ein Maler sei, der einen Kostenvoranschlag abgeben wollte, aber auch das war er nicht. Er sah mehr wie ein Amateurkünstler aus – hier lachte sie in sich hinein –, einer von denen, die sich auf Hundeporträts spezialisiert hatten. Sie hatte ihn jetzt beinahe erreicht und wollte an ihm vorbei und durch das Tor schlüpfen, bevor er sie ansprechen und sagen konnte, was immer er zu sagen hatte, als er herumfuhr und sein Gesicht sich aufhellte. »Mensch!« rief er. »Mensch, ich kann’s nicht glauben! Das sind Sie, die berühmte Hundesitterin, nicht? Und das hier« – er ließ sich auf ein Knie nieder und machte tief in der Kehle ein zwitscherndes Geräusch – »ist Admiral. Oder? Hab ich recht?«
    Admiral sprang sogleich auf ihn zu, bis die Leine sich straffte, warf sich auf den warmen Bürgersteig und gab sich den Liebkosungen des Mannes hin. Der seildünne Schwanz peitschte hin und her, die Pfoten zappelten, die spitzen Milchzähne kamen ins Spiel. »Guter Hund«, sagte der Mann schmeichelnd, und seine Dreadlocks fielen ihm in einer Wellenbewegung über die Stirn. »Das gefällt dir, was? Ja, das gefällt dir.«
    Nisha sagte nichts. Sie sah nur zu – es war ein winziger Lichtblick im Canyon ihrer Langeweile –, bis der Mann sich erhob und, während Admiral mit wiedererwachter Begeisterung sein Bein umklammerte, die Hand ausstreckte. »Ich bin Erhard«, sagte er und grinste breit. »Und Sie müssen Nisha sein.«
    »Ja«, sagte sie und schüttelte ihm unwillkürlich die Hand. Sie wollte ihn schon fragen, woher er ihren Namen kenne, aber das war überflüssig, sie konnte es sich denken. Er war von der Presse. Im vergangenen Monat waren ein Dutzend Reporter dagewesen. Die Strikers hatten ihrer Eitelkeit nachgegeben, für Fotos posiert und immer wieder dieselben idiotischen Fragen beantwortet – Eine Viertelmillion Dollar ist eine Menge Geld für einen Hund, finden Sie nicht? –, und auch sie selbst war zweimal interviewt worden. Ihre Mutter hatte im Internet sogar ein unscharfes Farbfoto von ihr und Admiral (couchant, Schoß) gefunden, unter der nicht so besonders witzigen Überschrift KLONSITTERIN . Dieser Typ war also Reporter und kam aus dem Ausland, dem leichten Akzent, den blauen Augen und der Größe nach aus Deutschland. Oder Österreich. Und er wollte was von ihr.
    »Ja«, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Ich arbeite für die Weltwoche und wollte Sie bitten … ich wollte Sie fragen, ob Sie wohl … ein wenig Zeit hätten? Wäre das möglich? Für mich? Nur ganz kurz?«
    Sie musterte ihn langsam und eingehend, sie flirtete mit ihm, ja, eindeutig. »Zeit habe ich jede Menge«, sagte sie. Und dann, als sein Grinsen breiter wurde: »Möchten Sie ein Sandwich?«
    Sie aßen auf der Terrasse am Pool. Sie war lässig gekleidet, in Shorts und Flip-Flops und ihrem alten Tupac-T-Shirt, und das war nicht unbedingt schlecht, denn das – viel zu kleine – T-Shirt rutschte hinauf, wenn sie sich im Sessel zurücklehnte, so dass man ihren Bauchnabel und den Onyxring sehen konnte. Er sah sie an, plauderte über den Hund, griff zum Sandwich, legte es wieder hin und fummelte am Objektiv der altgedienten Hasselblad herum, die er aus dem Rucksack zu seinen Füßen gezogen hatte. Die Sonne ließ
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