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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition)
Autoren: Juli Zeh
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bedeckt. Als sie mich hört, dreht sie sich um.
    Grad fertig, sagt sie. Fünfhunderttausend Schilling, fünfzigtausend Dollar und dann noch hundertdreißigtausend D-Mark. Was macht das zusammen?
    Ich spüre, wie meine Augen sich mit Tränen füllen.
    Die Schillinge geteilt durch sieben, sage ich, rechne selbst.
    Fast eine Drittelmillion Mark, sagt sie. Weißt du, wo das herkommt?
    Ich habe keine Ahnung, flüstere ich.
    Es muss deiner Freundin gehört haben, sagt sie.
    Sehr schlau, sage ich, und jetzt pass mal gut auf. Ich will allein sein. Du nimmst die Kohle und verschwindest. Viel Spaß damit.
    Ein Geschenk, fragt sie.
    Ja, sage ich.
    Ohne ein Wort stopft sie die Geldbündel zurück in die Plastiktüte. Sie legt auch die herausgesägte Diele wieder ein und rückt das Schränkchen darüber. Dann fällt die Tür hinter ihr ins Schloss.
    Ich gehe zurück zum Fenster. Diesmal setze ich mich auf die Fensterbank. Der Mond steigt in den Himmel, blass und rund wie ein Aspirin.
    Der Verkehrslärm weckt mich. Ich muss den Geräuschen schon eine ganze Weile im Halbschlaf gelauscht haben. Durch meinen tauben Magen zucken ab und zu kleine Adrenalinaufwallungen, kitzeln das Zwerchfell und bringen es zum Vibrieren. Mit diesem Zustand reagiere ich immer auf die Wahrnehmung von Alltagsleben draußen. Das Fenster ist offen, ebenso die Vorhänge, vielleicht hat mich der Schlaf überrascht auf der Fensterbank und es ist pures Pech, dass ich in die Wohnung hinein und auf die Matratze gekippt bin und nicht hinaus auf die Straße. Ohne die Augen zu öffnen weiß ich, dass es hell ist, ekelerregend schönes Wetter. Es ist heiß. Kinder rennen zur Schule, ich höre ihre Stimmen und die der Eltern unter meinem Fenster. Ströme von Autos bewegen sich am Haus vorbei, alle auf dem Weg zur Arbeit, vielleicht auch in den Urlaub, vielleicht zu einem Arztbesuch. Die Unzahl von Autos, die allein schon während der Viertelstunde vorbeifährt, in der ich darauf achte, macht mich schwindeln. Hochgerechnet auf den ganzen Tag ergibt das eine erdrückende Menge von menschlichen Beschäftigungen, Berufstätigkeiten, Einkäufen und Schulwegen; es presst mich zu Boden, es trinkt mich aus, als würde der ganze Fleiß und Eifer da draußen allein mit Energien gespeist, die aus dem Abbau meines Geistes und Körpers gewonnen werden.
    Es gibt keine Möglichkeit, den Straßengeräuschen zu entgehen. Selbst wenn ich das gesunde Ohr im Kissen vergrabe und das kaputte nach oben richte; selbst wenn ich Fenster und Vorhänge schlösse und mir einen ganzen Kissenberg auf den Kopf türmte – ich würde Autos, Schritte und Stimmen noch hören, gedämpft zwar, aber mit dem identischen Effekt auf meinen Magen und mein überreiztes Gehirn. Ich ziehe meine Arme unter dem Körper hervor, lege die schlaffen Finger ineinander und bete für einen Giftgasangriff, der da draußen alles stilllegt, die aufdringliche Geschäftigkeit anhält, Ruhe einkehren lässt.
    Dann klingelt das Telephon. Ein Blick aus halbgeöffneten Augen zeigt mir die weizenblonde Farbe meiner Dielen, davor die Berge und Täler im Faltenwurf des verrutschten Lakens. Staubkugeln erscheinen groß wie Wüstenteufel auf einer amerikanischen Landstraße, dazwischen ein paar Papiertaschentücher, zerknüllt, zusammengehalten von dem Kitt aus angetrocknetem Rotz in ihrem Inneren. Teller mit Pizzaresten. Dann sehe ich das Telephon. Es liegt außer Reichweite, mit leerem Akkufach. Ich bin sicher, dass es das Radiomädchen ist, und ich will drangehen. Nach fünf Mal Klingeln schaltet sich der Anrufbeantworter ein. Keine Chance, vorher an Telephon und Akku heranzukommen. Ich schaffe es noch nicht mal, einen Arm auszustrecken.
    Der AB ist laut gedreht, ich kann den Anruf mithören. Piep.
    Max, sagt eine Frauenstimme, jetzt reicht’s.
    Es ist nicht Clara, und es dauert eine Weile, bis mir einfällt, wer es ist. Maria Huygstettens Gestalt erscheint vor meinem inneren Auge, so wie ich sie immer durch den Spalt meiner angelehnten Bürotür an ihrem Pult sitzen sehen konnte: ihr weißes Porzellangesicht, dahinter die rötliche Frisur auf den Hinterkopf getürmt, dem Licht vom Fenster zugewandt. Manchmal, wenn ich in die Luft starrte, anstatt zu arbeiten, stellte ich mir zum Spaß vor, ihr perfekt rosafarbener Mund würde sich plötzlich verspannen und durch die aufeinandergepressten Lippen würde sich aus ihrem Gesicht heraus eine dicke braune Wurst Scheiße schieben. Vermutlich war es ihre unzerstörbare Sauberkeit, die
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