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Adler und Engel (German Edition)

Adler und Engel (German Edition)

Titel: Adler und Engel (German Edition)
Autoren: Juli Zeh
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mir zwar die Phantasie. Aber ich kann den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen, dann mache ich es auch nicht mehr lange. Der Gedanke beruhigt mich. Ich begrüße das Radiomädchen mit einem weisen Lächeln auf meinen trockenen Lippen.
    Dein scheiß Haarband, sage ich, ist aus dem Fenster geflogen und an der Hinterachse eines LKW hängen geblieben und jetzt wird es mitgeschleift bis zum Bosporus und löst sich in einzelne Fasern auf, und du ziehst am besten los und sammelst sie auf und strickst dir ein neues. Und dann kommst du wieder, wenn du fertig bist.
    Du kennst aber lange Sätze, sagt sie.
    Sie marschiert an mir vorbei in meine Küche und setzt sich auf den Platz vom letzten Mal. Sie legt beide Hände flach auf den Tisch.
    Orangensaft, sagt sie.
    Ich habe welchen da und überlege, ob ich lügen soll. Es ist mir zu anstrengend. Ich schenke ein Glas ein und stelle es vor sie hin. Sie schaut zu mir auf mit einem Ausdruck hilfloser Dankbarkeit. Das bringt mich auf die Idee, meinen Entschluss über den Haufen zu werfen und doch etwas Handfestes zu tun, zum Beispiel den Kopf in den Gasofen zu stecken.
    Es ist gar nicht das scheiß Haarband, sagt sie.
    Sie gießt den Orangensaft aus dem Glas zurück in die Flasche, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten. Die Flasche setzt sie an und trinkt sie leer bis auf einen fingerbreiten Rest.
    Ich wollte dir was erzählen, sagt sie.
    Nur zu, sage ich.
    Ich habe eine neue Lieferung erhalten, der Kühlschrank ist voll, und vor diesem Hintergrund kann ich mir was auch immer anhören.
    Ich habe geträumt letzte Nacht, sagt sie, und du bist darin vorgekommen.
    Nickend und lächelnd entnehme ich dem Kühlschrank eine weitere Flasche Orangensaft für sie und ein Siegel Pulver für mich.
    Du warst der Regisseur eines Films, sagt sie, und der Film war gerade fertig. Du wolltest ihn mir zeigen. Es ging um eine Frau, die von ihrem Mann betrogen wird.
    Originell, näsele ich.
    Mit zurückgelegtem Kopf klopfe ich mir auf die Nasenflügel.
    Sie war schwanger im letzten Monat, sagt sie.
    Red ruhig weiter, sage ich.
    Ich gehe ins Wohnzimmer, um meine Zigaretten zu suchen. Als ich in die Küche zurückkomme, hat sie tatsächlich alleine weitergesprochen.
    Gynäkologenstuhl, sagt sie gerade. Ein Arzt hantiert mit der Geburtszange. Du sagst, dass es deine Lieblingsszene ist. Die Frau windet sich unter ihren Presswehen und schreit, und der Arzt holt schließlich etwas zwischen ihren Beinen hervor und hält es ihr hin. Es ist das großformatige Photo eines Neugeborenen, ganz knitterig und blutbeschmiert. Ein Schwarm Fliegen schwirrt drum herum.
    Ich blase ihr Zigarettenrauch ins Gesicht, weil mir eingefallen ist, dass sie nicht raucht. Es scheint sie nicht zu stören. Sie öffnet die zweite Flasche Orangensaft.
    Wie findest du das, fragt sie.
    Unwichtig, sage ich.
    Das war doch dein blöder Film, sagt sie. So was Krankes kann ich mir gar nicht ausdenken.
    Vielleicht eben deshalb unwichtig, sage ich.
    Jedenfalls wusste ich nach diesem Traum die Antwort auf etwas, das ich mich schon die ganze Woche frage, sagt sie.
    Und, frage ich.
    Ich wollte wissen, sagt sie, warum du bei mir in der Sendung angerufen hast. Jetzt weiß ich es. Weil du mir die ganze Geschichte erzählen wirst.
    Einen kurzen Moment herrscht Schweigen. Dann erhebe ich mich. Es ist an der Zeit, sie ein zweites Mal zu schlagen, und diesmal werde ich erst damit aufhören, wenn sie am Boden liegt.
    Das Telephon unterbricht mich. Eigentlich bin ich ganz froh. Sie hat keinen Mucks von sich gegeben, und das rührt mich so, dass ich nicht richtig ausholen kann. Außerdem ist es heiß, bislang der heißeste Tag im Jahr. Während ich das verdammte Telephon in allen Ecken suche, kriecht Clara über den Flur und lehnt sich gegen die Wand. Unter den Laken auf meinem Matratzenlager werde ich fündig. Ich bin außer Atem und schwitze. Das Klingeln macht mich nervös. So nervös, dass ich drangehe ohne mich zu fragen, wer das überhaupt sein kann.
    Rufus will Sie sprechen, sagt die Sekretärin.
    Es ist meine Firma. Nicht die kleine Korrespondenzkanzlei hier in Leipzig, sondern das Büro vom großen Häuptling in Wien. Ich lasse mich auf die Matratze fallen. Es bleiben wenige Sekunden zum Durchatmen, während ich durchgestellt werde.
    Scheiße, flüstere ich, Scheiße.
    Mäx, sagt Rufus.
    Er ist Amerikaner, und ich habe es nie gewagt, ihn davon abzubringen, meinen Vornamen wie »Mäx« auszusprechen. Als ich die ersten Erfolge feierte in seiner
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