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Adams Erbe (German Edition)

Adams Erbe (German Edition)

Titel: Adams Erbe (German Edition)
Autoren: Astrid Rosenfeld
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Geräteschuppen. Winkies lebende Brüder und Schwestern hatten alle einen Namen. Der Professor stellte mir jedes einzelne Tier mit stolzgeschwellter Brust vor, als ob wir es gerade mit dem englischen Hochadel zu tun hätten und nicht mit ein paar verschreckten Nagern.
    »Schau mal, Edward.« Er öffnete einen der Käfige, und fünf Babykaninchen sahen mich an. »Du kannst sie rausnehmen und streicheln.«
    Professor Doktor Strombrand-Rosselang und ich hockten uns auf eine Kiste, beide ein Baby auf dem Arm.
    »Frisch geboren. Du darfst sie taufen.«
    Ich suchte ihre Namen mit großer Sorgfalt aus. Die drei schwarzen benannte ich nach meinen Helden: Pinocchio, King Kong und Sindbad. Das braune taufte ich Chanel. So hieß das Parfüm meiner Mutter, dessen Duft ich liebte. Das schönste von allen, es hatte ein weißes und ein schwarzes Ohr, erhielt den Namen Jaguar.
    Für eine geschlagene halbe Stunde gewann der Professor mein Herz.
    »Werden Sie die auch irgendwann essen?«
    »Das ist der Lauf der Dinge«, sagte er traurig und wiegte Chanel hin und her. Aber ehe ich Gelegenheit hatte zu sagen, dass er den Lauf der Dinge unterbrechen könne, dass er seine Kaninchen nicht töten und essen müsse, befand ich mich in einer weiteren Vorlesung des Herrn Professor. Und Gott allein weiß, wie er von fünf Babykaninchen zu Hepatitis B und dem Attentat auf Kennedy kam.
    Mama und der Professor sahen sich weiterhin regelmäßig, aber die ganze Sache entwickelte sich nicht weiter. Lara Cohen beobachtete die nicht aufgehen wollenden Blüten ihrer Kuppelei voller Ungeduld. Ähnlich ungeduldig wartete ich auf den nächsten Monat. Auch Mama hatte Jack Moss nicht vergessen. Fast jeden Abend hörte ich den King in ihrem Zimmer singen. Aber ich erzählte meiner Mutter nichts von meiner losen Verabredung im Elefantenhaus, manche Dinge muss man ganz allein machen.
    Dann kam der Sonntag, und das Glück war auf meiner Seite. Der Professor holte meine Mutter schon am frühen Morgen ab. Oma verließ mittags das Haus, um einen Wohltätigkeitsbasar zu besuchen, und Moses schlurfte wie gewöhnlich auf dem Dachboden herum. Ich war frei.
    Am Eingang bezahlte ich den Eintritt. Dann rannte ich Richtung Elefantenhaus. An diesem Tag schien die Sonne, und die Tiere tummelten sich draußen. Vor dem Gehege, mit einer Zigarette im Mundwinkel, stand Jack Moss. Und ich dachte, ich müsste zerspringen oder einfach umfallen. Denn was hätte ich getan, wenn er nicht da gewesen wäre? Wo hätte ich ihn suchen sollen, den reisenden Amerikaner?
    Jack Moss sah aus wie der Gott dieser grauen Herde. Ihr einziger Gott. Die Sonnenstrahlen und der Rauch seiner Zigarette umspielten sein hübsches Profil. Die Elefanten im Hintergrund schienen eigens für ihn ihre Rüssel zu schwenken. Erst als ich fast vor ihm stand, rief ich seinen Namen. Jack Moss zwinkerte mir zu, und ich begrüßte ihn mit so wilder Freude, dass ich ins Taumeln geriet.
    »Willst du sie anfassen?«, fragte Jack, nachdem ich mich beruhigt hatte.
    »Wen?«
    »Na, die Elefanten.«
    Jack drückte mir einen Keks in die Hand und hob mich hoch. Ich war in der Luft, schwebte auf Jacks Armen über den Zaun. Angelockt durch den Zucker oder den Gesang oder durch die Tatsache, dass ein kleiner Junge kopfüber in ihrem Gehege hing, kamen die Tiere angetrabt. Ich streichelte ihre Rüssel und fütterte sie mit Keksen, bis sie satt und zufrieden abmarschierten.
    Jack reichte mir eine Zigarette. Die vierte meines Kinderlebens. Rauchend hielten wir unsere Gesichter in die Sonne. In diesem Moment gehörten wir zusammen, der Gott, die Herde und ich.
    Eine fette Frau mit zwei ebenso fetten Zwillingsmädchen in meinem Alter störte unsere Eintracht. »Sie können den Jungen doch nicht rauchen lassen«, schnaufte sie.
    Jack lächelte, und seine Schönheit trieb der Dame die Röte ins Gesicht. Mit Elvis hatte sie nicht gerechnet.
    »Mein Sohn ist achtzehn«, sagte er freundlich.
    Die Frau musterte mich skeptisch, und ihre Bälger glotzten mich an. »Das kann ich nicht glauben«, sagte sie nach einer langen Pause. Jack lachte und wandte sich wieder der Sonne zu, aber die Frau und ihre Töchter blieben stehen. »Also wirklich, das kann ich mir nicht vorstellen. Das kann ich einfach nicht glauben.«
    Jack seufzte. »Aber darum geht es nicht, werte Dame. Die Welt wäre ein sehr trauriger Ort, wenn es nur das geben würde, was Sie sich vorstellen können.«
    »Wa…was?« Die Dicke war unsicher, ob sie gerade beleidigt worden war
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