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Achtzehnprozentiges Grau: Die Flucht (German Edition)

Achtzehnprozentiges Grau: Die Flucht (German Edition)

Titel: Achtzehnprozentiges Grau: Die Flucht (German Edition)
Autoren: Anne Tenino
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Natürlich war die Übermittlung verschlüsselt und so eingerichtet, dass rote Satelliten zu einer „legalen“ Firma in Kalifornien fehlgeleitet wurden. Aber trotzdem. Von wegen verdeckt.
    Er setzte sich auf eine nahegelegene Bank. Es war kein besonders angenehmer Platz zum Sitzen, aber das galt für fast ganz Ontario. Nach der Schlacht vor fünfzig Jahren hatten sie hier kaum etwas wieder aufgebaut. Die roten Staaten waren alle gleich.
    Ein Typ näherte sich ihm und unterbrach seine Grübelei. „Sitzt da schon jemand?“
    Matt unterzog ihn einer schnellen Musterung. Nicht der erfreulichen, schwulen Musterung, sondern der „Ich bin ein verdeckter Agent der Blauen“-Musterung.
    Allwetterkleidung in Tarnfarben. Nicht besonders gut in Form, lange Haare, Mitte fünfzig. Kein Soldat. Jeder trug Allwetterklamotten, sogar die Zivilisten. Man konnte Allwetterklamotten wochenlang tragen, ohne dass sie schmutzig wurden oder (stark) rochen. Was war daran also auszusetzen? Idaho war ein Paradies für Jäger und Tarnfarben deshalb durchaus üblich. Wahrscheinlich wollte er Geld. Matt stufte ihn als harmlos ein. „Nein. Nur zu.“
    „Sin ‘se hier, um zu jagen?“
    „Könnte man so sagen“, sagte Matt freundlich.
    „Ja, seit ‘n paar Jahren gibt’s nicht mehr so viel. Damals, als sie noch Antilopen hatten, da lief es gut. Mein Opa, der –“
    Verdammter Mist. Ein Schwätzer. Matt stöhnte. Hörbar. Aber der Typ hörte ihm sowieso nicht zu. Nach einem dreißigminütigen Vortrag darüber wie viel besser die Jagd in Idaho gewesen sei, bevor sie beide überhaupt geboren worden waren („ ... und es is’ mir scheißegal, was die blauen Liberalen sagen, das is’ nich’ der Treibhauseffekt! Das is’ eine Verschwörung. So offensichtlich wie die Nase in meinem Gesicht!“), gelang es Matt, eine unglaublich wichtige SMS vorzutäuschen.
    Er tat so, als würde er antworten, hob gleichzeitig seinen Rucksack auf, winkte dem Schwätzer lässig zu und ließ ihn stehen, um sich eine Rennmaschine zu mieten. Eine umweltfreundliche, elektrische Rennmaschine.

    I N DIESER Nacht schlug Matt seine Zelte in der Nähe von Payette auf. Er hätte es leicht bis nach Boise schaffen können, wäre dort schon kurz nach der Dämmerung angekommen, aber er brauchte Zeit zum Nachdenken. Außerdem zeltete er gerne. Er zündete sogar ein Lagerfeuer an. Völlig unnötig und auch nicht sehr klug, weil die Regensaison noch nicht begonnen hatte, aber das war ihm egal. Er fühlte sich sentimental und das Feuer schaffte dazu die richtige Stimmung.
    Offensichtlich zu viel Stimmung. Er hatte kaum das Feuer angezündet, als Jemand denselben Weg entlang kam, den auch Matt genommen hatte. Es war inzwischen fast vollständig dunkel und die meisten Reisenden hatten sich schon für die Nacht eingerichtet, entweder auf einem der Lagerplätze oder, wie Matt, direkt am Weg. Als der Typ stehen blieb und fragte: „Suchst du heute Nacht ein bisschen Gesellschaft?“, hätte Matt dass zuerst fast für eine Anmache gehalten. Nur dass niemand, der sich ein langes, freies, schwules Leben wünschte, in den Roten Staaten derart wagemutig gewesen wäre. Der Kerl war wahrscheinlich einfach nur naiv.
    „Nein“, sagte er einsilbig und starrte den Typ an, ohne zu blinzeln, bis er weiterging. Erst als Matt ihm hinterher schaute, um seinen Hintern abzuchecken, – immerhin sah der Typ recht gut aus – bemerkte er das graue Taschentuch, das aus seiner Hosentasche lugte. Es war 18%iges Grau. Zumindest sah es im schwindenden Tageslicht so aus. Die meisten Schwulen in den Roten Staaten benutzten einfach irgendein altes, mittelgraues, quadratisches Stück Stoff. Aber 18 %iges Grau hatte eine doppelte Bedeutung. Graue Taschentücher in allen Schattierungen dienten dazu, zu zeigen, dass jemand schwul war, aber der Unterdrückung der Vereinigten Roten Staaten ausgeliefert war. Eine Anti-Regenbogenfahne.
    18 %iges Grau war eine übliche Hintergrundfarbe für Kunstdrucke, aber in diesem Fall stand es für die 18 % aller Träger des schwulen Gens, die nicht schwul waren. Denn genauso mussten die meisten Schwulen in den Roten Staaten leben. Als wären sie nicht schwul.
    Matt amüsierte sich immer über die 18 %igen Tücher. Nicht einmal alle Schwulen konnten den Unterschied zwischen 18 %igem Grau und irgendeinem anderen Mittelgrau erkennen. Bestimmten konnten das nur die Schwulsten der Schwulen. Überleben der Schwulsten. So was in der Art.
    Fast hätte Matt den Kerl zurückgerufen, aber
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