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Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut

Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut

Titel: Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
Autoren: C.H.Beck
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Erststimme ist für einen der Kandidaten im Wahlkreis (es gibt 299 davon); der Kandidat mit den meisten Stimmen in einem Wahlkreis zieht in den Bundestag ein. Er hat ein Direktmandat. Die Zweitstimme wird für eine Partei und deren Landesliste abgegeben. Hierbei werden die Sitze gemäß dem
Quotenverfahren mit Restausgleich nach größtem Bruchteil
an die Parteien verteilt. Es wird als Hare-Niemeyer-Verfahren bezeichnet.[ 39 ] Dabei ist die Vorgehensweise wie folgt: Die Stimmen einer jeden Partei werden durch die Gesamtstimmenzahl aller Parteien (welche die Fünf-Prozent-Hürde überschritten haben) ohne ungültige Stimmenund ohne Enthaltungen geteilt und mit der Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze multipliziert. Dieser Wert ist die
Quote
der jeweiligen Partei. Einer Partei stünden dann, nur um eine Zahl zu nennen, theoretisch genau 358,47 Sitze zu. Wegen des Nachkommaanteils ist das natürlich nicht praktikabel. Man muss für die Quoten ganzzahlige Annäherungen finden, die möglichst gerecht und in der Summe gleich der zu vergebenden Sitzzahl sind. Der auf die nächste ganze Zahl – hier 358 – abgerundete Teil der Quote wird als Sitzzahl der Partei sofort zugeteilt. Das wird für alle Parteien durchgeführt. Die wenigen dann noch verbleibenden Sitze im Parlament werden nach der Reihenfolge der größten Nachkommaanteile der Quoten (für die Partei mit obiger Quote 358,47 ist es 0,47) den Parteien der Reihe nach zugeteilt. Mit anderen Worten: Die Partei mit dem größten Nachkommaanteil der Quote erhält den ersten Sitz, die Partei mit dem zweithöchsten Nachkommaanteil den zweiten Sitz usw., bis alle restlichen Sitze vergeben sind.
    Das idealtypische Ziel bei der Sitzzuteilung im Verhältniswahlrecht besteht darin, einer jeden Partei so viele Sitze im Parlament zuzuweisen, dass der Anteil der Stimmen dieser Partei an der Gesamtzahl der Stimmen dem Anteil der dieser Partei zugeteilten Sitze entspricht. Dieses Hare-Niemeyer-Verfahren wird einerseits auf die Gesamtzahl der im Bundesgebiet für die Partei abgegebenen Stimmen angewandt, um die Anzahl der Mandate zu ermitteln, die einer jeden Partei im Bundestag zusteht, sowie andererseits auch bei der Ermittlung der Anzahl der Mandate, die auf die einzelnen Landeslisten der Parteien entfallen.
    Ein zusätzlicher Aspekt sind die sogenannten Überhangmandate. Überhangmandate entstehen, wenn für eine Partei so wenig Zweitstimmen abgegeben worden sind, dass ihr nach elementarem Dreisatz und Hare-Niemeyer-Verfahren weniger Mandate zustehen, als sie aufgrund der Erststimmen an Direktmandaten erhalten hat. Diese Überhangmandate verbleiben bei der Partei und werden nicht ausgeglichen.
    Wir zeigen eine hypothetische Beispielrechnung, die diesen Fall verdeutlicht. Angenommen, eine Partei P erhält 10 MillionenStimmen, und zwar in Bundesland A insgesamt 4,56 Millionen und in Bundesland B die restlichen 5,44 Millionen Stimmen. Eine andere Partei Q erhalte ebenfalls 10 Millionen Stimmen und alle übrigen Stimmen entfallen auf eine dritte Partei Z. Wenn es insgesamt 59,8 Millionen gültige Stimmen gab, so entspricht bei 598 Sitzen im Parlament (wie z.B. dem Deutschen Bundestag) ein Sitz genau 100.000 Stimmen. Den Parteien P und Q stehen somit nach Dreisatz exakt 100 Sitze zu. Wie verteilen sich diese 100 Sitze auf die beiden Bundesländer A und B?
 
Zweitstimmen in Millionen
Quote
Sitze (abgerundete Quote)
Weitere Sitze (nach Hare-Niemeyer)
Sitze gesamt
Land A
  4,56
  45,6
45
1
  46
Land B
  5,44
  54,4
54
0
  54
Gesamt
10
100
99
1
100
    Tabelle 32: Stimmen, Quoten und Sitze für Partei P
    Hätte nun die Partei P in Land A 46 Direktmandate gewonnen und 48 in Land B, ergäben sich folgende Mandatszahlen.
 
Landesliste
Direktmandate
Sitze gesamt
Land A
  46
46
  46
Land B
  54
48
  54
Gesamt
100
94
100
    Tabelle 33: Mandate der Partei P
    Für die übrigen 6 Sitze in Bundesland B wird auf Kandidaten der Landesliste zurückgegriffen.
    Hätte andererseits die Partei P aufgrund der Erststimmen in 57 Wahlkreisen von Land B Direktmandate gewonnen, so würden diese 3 zusätzlichen Mandate als Überhangmandate bei der Partei verbleiben ohne Kompensation für andere Parteien.
    Plus wird Minus.
Das ist alles intuitiv und leicht verständlich. Nun wird es kontraintuitiv und nicht mehr ganz so leicht verdaulich. Kaum zu glauben, aber dennoch wahr ist nämlich, dass es dieses Wahlsystem einer Partei durchaus ermöglicht, mit weniger Zweitstimmen mehr
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