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Achilles Verse

Achilles Verse

Titel: Achilles Verse
Autoren: Achim Achilles
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einfach die Zeit.«
    Die Männer nicken schweigend und gucken verstohlen an sich herab. Von Connys Stirn tropft Schweiß auf den Grill. Ich weiß, dass beide sich und ihre Wampen verfluchen. Ich weiß auch, dass unsere Frauen dem Gespräch sehr genau zuhören, das merkt man an der ungewohnten Stille im Großraum Hollywoodschaukel. »… er wird immer besser«, höre ich Mona wispern. Heute Abend werden sich die Herren noch was anhören müssen, jede Wette. Mein Mönchen dagegen wird stolz auf mich sein. »Im Herbst fange ich das Laufen auch wieder an«, sagt Maik. »Nee, klar«, sage ich. Wir machen uns noch ein Bier auf. Vom Golfen hat Conny den ganzen Abend nicht mehr erzählt.

Sozialprestige
    Außer Autos, Frauen, Handys, Uhren, Schuhen, Urlaubszielen, Wein, Zigarren, Brillen, Stühlen, Computern und Schreibgeräten ist es ja vor allem der Sport, der die breite bürgerliche Mitte Deutschlands sortiert. Der Fußballer rangiert eher am unteren Ende der Sozialprestige-Skala, während Golfer, Segler (wichtig: eigenes Boot!) und Reiter (eigenes Pferd!) das obere Ende zieren. Es gibt nur einen Sport, der alle toppt: Marathon, besser noch Triathlon. Einen solchen Wettbewerb beendet zu haben, das kann sich niemand erkaufen. Ausdauersport ist ein Stück soziale Gerechtigkeit.

Was ist schöner als Marathon-Laufen? Beim Marathon zugucken. Was ist eigentlich peinlicher? Die Krücken am Ende des Feldes oder ihre Angehörigen am Straßenrand?

    Sonntag war S/M-Tag. Zehntausende Masos auf Berlins Straßen. Und ich der grienende Sado, direkt am KaDeWe, mit der großen gelben Winkehand aus Pappe von Powerbar. Da, wo grundlos euphorisierte Klatschköppe eigentlich »Go, Papa« oder »Super, Elfriede« hinkritzeln, da stand bei mir: »Heul doch!« Und auf der Rückseite: »Tut’s weh?« Einige der traurigen Gestalten hätten mir gern eine gescheuert. Wenn sie nicht so entkräftet gewesen wären.
    Eigentlich wollte ich Klaus Heinrich sehen, aber der war wohl schon durch. Was nach ihm angeschlurft kam, war das Grauen. Von Laufen keine Spur. Nur humpelnde, schleichende, keuchende, strauchelnde Gestalten. Stierer Blick. Rote Rüben. Irres Grinsen. Schlabbernde Unterlippen. Wann kommt der Erste, der die Schneidezähne in den Asphalt schlägt, um sich ein paar Zentimeter vorwärts zu ziehen?
    Ich will, dass sie aufgeben, direkt vor meinen Füßen. Ich verachte euch, wenn ihr nicht gerade über 60 seid. So wie Erhard Zipplies, der bei den Männern über 75 Jahre Zehnter wurde, und nebenbei 24 495., also Letzter, mit sieben Stunden und sechs Minuten.
Zehn Minuten vorher kam Egon Bethge (M80) ins Ziel, als Dritter seiner Altersklasse. Das ist großer Sport und gut für uns alle. Wenn Deutschlands Rentner laufen, dann verstopfen sie nicht dauernd die Apotheken, wo wir für unser Carnithin anstehen.
    Aber all ihr anderen, ihr 20-, 30-, 40-jährigen Funrunner, ihr habt zu wenig trainiert. Seid maximal die ersten zwölf Kilometer gelaufen und bewegt euch seitdem als trottende Verkehrsblockade durch die Hauptstadt. Schämt euch, dass ihr ein so erbärmliches Bild abgebt. Geht walken. Und zieht das New-York-Marathon-T-Shirt aus. Das ist von Ebay, aber nicht von euch errungen, oder vielleicht vor 20 Jahren. Und hört auf, zu Hause zu erzählen, ihr wäret den Berlin-Marathon gelaufen. Ihr habt euch 42 Kilometer notdürftig und unästhetisch vorwärts bewegt. Ihr seid die Schande der Evolution, das Gegenteil von Vertretern einer stolzen, hochentwickelten Kulturnation. Allein die laufende Sebamed-Flasche nötigt mir Respekt ab: Bei der Hitze 42 Kilometer in einer Plastikverpackung zu laufen, das verdient eine eigene, die Werbeflaschen-Wertung.
    Wer nachmittags um halb zwei bei Kilometer 34 am Straßenrand steht, der erschrickt angesichts dieser Heerscharen von Zombies, die fünf Stunden und länger brauchen. Es ist die B-Veranstaltung, die hässliche Schwester des stolzen Marathons, die mit Sport nichts mehr zu tun hat. Sie sehen aus, als seien sie auf dem Weg zum Wolfgang-Petry-Konzert. Höllehöllehölle. Manche haben das Handy am Ohr, die anderen ihre halbe Wohnungseinrichtung dabei: Trinkgürtel mit drei, vier Literbuddeln, dazu MP3-Player, ein GPS-Ortungsgerät, weil man rund um die Gedächtniskirche ja leicht mal verloren geht, dazu alberne Mützen, schwere Jacken, lange Hosen.
    Zwei Stunden vorher kamen hier noch echte Sportler durch, jetzt schlägt die Stunde der Kasper. Wann wird der Erste seine Picknickdecke ausbreiten, um auf dem
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