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Achilles Verse

Achilles Verse

Titel: Achilles Verse
Autoren: Achim Achilles
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Grünstreifen in Ruhe seine Käsestullen zu verzehren? Ist es Zufall, oder stimmt es tatsächlich,
dass besonders viele Tätowierte besonders langsam am Rand entlangwanken? Eigentlich klar. Wer sich Arme und Beine so aufwändig bekritzeln lässt, tut das ja nicht für sich, sondern für den Rest der Welt. Er will gesehen werden. Und welche Veranstaltung bietet mehr Zuschauer als der Marathon: eine Million an den Straßen. Also langsam gehen. Das erhöht die Kontaktzahl immer.
    Ähnlich kalkulieren die muskelbepackten Sportstudio-Heinze, die mit ihren getigerten Strippen-Leibchen den Latissimus und die Brustbeulen wirkungsvoll in den Blick rücken. Acht Kilometer vor dem Ziel staksen sie auffällig breitbeinig. Zu viel Muckis am Oberschenkel erzeugen zu viel Reibung. Jetzt sind die Stählernen einfach wund gelaufen. Ich halte jedem mein Heuldoch-Schild vor die sonnenbankbraune Nase. Ich habe keine Angst vor dir, Fleischwurst. Heute nicht.
    Früher, als Marathon noch Sport war, wurde die Zeitnahme im Ziel nach vier Stunden geschlossen, fünf wären auch okay, dann hätte sogar ich eine Chance. Für Bethge und Zipplies und ihre Altersgenossen kann man sie ja noch etwas länger offen halten. Für alle anderen nicht. Die Zuschauer würden von der GSG 9 verjagt, die Streckensperrung aufgehoben. Die Schlappschwänze müssten auf den Bürgersteig. Der ist schließlich für Spaziergänger da.

Wo ist die Grenze?
    In der Läufergemeinde tobt ein Glaubenskrieg. Die Fundamentalisten finden, dass es keine große Leistung sei, sich in sechs, sieben Stunden über 42 Kilometer zu schleppen und würden den Marathon gerne denen vorbehalten, die auch wirklich laufen. Die Liberalen dagegen finden, dass es Leistung genug sei, sich über eine solche Strecke zu bewegen, dass der Spaß und die Gesundheit im Vordergrund stehen und nicht der Leistungsfetischismus. Achilles meint: Als Zuschauer sollen einem die Schlappen erspart bleiben, als Läufer dagegen kann es davon nie genug geben im Feld: Sie landen schließlich alle hinter einem. Vom medizinischen Standpunkt aus ist es in jedem Fall unvernünftig, sich schlecht trainiert auf die Marathon-Distanz zu begeben. Weder Bewegungsapparat noch Kreislauf sind auf solche Anforderungen eingestellt. Mag die Gattin auch stolz am Straßenrand kreischen – gesund ist das auf keinen Fall.

Achim will, er will. Vor allem eines – nicht wieder schwach werden. Klar, es wird jetzt wieder frischer draußen. Auch feuchter, insgesamt ungemütlicher. Aber zählt das alles für Achilles? Hat dies Einfluss auf seine Motivation? Wir fürchten: ja.

    Oh, goldner Herbst, wie liebe ich Dich.
    Wenn Deine letzten zarten Sonnenstrahlen gelbleuchtende Inseln der Reinheit ins Herbstlaub tupfen, das Eichhorn sich einfältigen Blickes auf den Ästen tummelt, dann ist es nur das trampelnde Rhinozeros namens Läufer, das die selige Ruhe des Waldes stört. Dunkle Gedanken verhängen seine Miene, seine dumpfen Schritte klingen nach Wut und Verzweiflung.
    Oh, goldner Herbst, wie trügerisch bist Du.
    Schon bald wird Matsch dort sein, wo sich jetzt edle Pfade durchs Unterholz winden.
    Oh, goldner Herbst, Du alte Mistkröte.
    Warum bist Du so schwach, dass Du schon morgen vorbei sein kannst und fortan Deine nasskalte Kehrseite zeigst? Der eisige Wind wird peitschen, das erste Sibirientief lauert schon hinter den Wipfeln. Warum dauerst Du nicht einfach bis März?
    Perfekte Herbsttage bedeuten für den Läufer eine unmenschliche mentale Prüfung. Sekunden des Genusses wechseln sich ab mit Stunden des Zweifels. Vorbei die Tage, als man mit geschwellter
Brust mitten durch den Biergarten am Schlachtensee galoppierte und fest überzeugt war davon, dass man anerkennendes Frauengeraune hinter sich gehört hatte, das niemandem sonst gelten konnte als dem elastisch dahinfedernden Megaläufer.
    Aus und vorbei. Der Ausdauersportler ahnt, was auf ihn zukommt. Schnee statt Frauen auf den Bierbänken. Einsamkeit des Winterläufers. Motivation – was war das gleich noch? Wie zum Teufel rettet man die ohnehin nicht dolle Form durch den Winter?
    Es wird eisig sein, dunkel und seelisch schmerzhaft. Die Anziehungskraft der warmen Höhle wird wieder übermenschlich, das Tal der Unlust noch tiefer als die Jahre zuvor. Dass der Wald ab November walkerfrei sein wird, ist nur ein schwacher Trost. Denn dann kommen die Langläufer, die ähnlich lästig sind.
    Natürlich kann man sich ambitionierte Pläne machen: Mindestens viermal die Woche, morgens
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