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Ach so!

Ach so!

Titel: Ach so!
Autoren: Ranga Yogeshwar
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Cuisine« verraten, doch ich muss Schluss machen, denn gleich kommt Schwiegermutter vorbei und macht uns Hefeküchlein. Selbstgemacht, und der Fernseher bleibt aus!

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    Warum brauchen wir immer Ausreden?
    98 Der Zug ist wieder einmal verspätet. Es ist 6:24 Uhr. Auf dem Bahnhof schweigen die Reisenden – Geschäftsleute, Pendler und Frühaufsteher. Manche frösteln in der Morgenkälte, andere wirken abwesend oder blicken verloren auf ihr Handy. Dann die Durchsage: »Verehrte Fahrgäste: Auf Gleis 3 ...« Was folgt, ist der routinierte Versuch einer Erklärung für die Verspätung. Einmal heißt es »wegen Verzögerung im Betriebsablauf«, einmal »Betriebsstörung«, beliebt sind auch »Bahnübergangsstörung« oder »hohes Streckenaufkommen«. Kopfschütteln bei den Wartenden. Die schweigenden Einzelgänger beginnen plötzlich miteinander zu sprechen. Immerhin: Die Ausrede aus dem Lautsprecher fördert die Kommunikationsbereitschaft.
    Einige Kilometer weiter warten andere Passagiere im beengten Flugzeug auf den Start, und auch hier serviert man ihnen offizielle Gründe für die Verzögerung. Schuld sind »der überfüllte Luftraum über Frankfurt«, eine »technische Überprüfung der Triebwerke« oder »die verspätete Ankunft des Flugzeugs aufgrund des schlechten Wetters in Sankt Petersburg«. Bemerkenswert – oder? Sie verpassen Ihren Termin in München wegen des schlechten Wetters in Sankt Petersburg! Seit dem Frühjahr 2010 wurde die Palette der Erklärungen um ein neues Element ergänzt: Vulkanasche aus Island! Internationale Konferenzen wurden abgesagt, Produktionen gerieten ins Stocken, und wichtige Entscheidungen wurdenvertagt, weil sich, weit weg von allem, ein Vulkan Luft verschaffte.
    Der Eyjafjallajökull erwies sich als die übersehene Achillesferse unserer modernen Industrienationen. Wer hätte bis dahin geglaubt, dass die Getriebeproduktion der deutschen Automobilindustrie, der Umsatz der Floristen in Münster oder die Popularität bayerischer Verkehrsminister in solch direkter Abhängigkeit zur Aschekonzentration über Island stünden? Bei sonnigem Frühjahrswetter über Deutschland ruhte der gesamte Flugverkehr, und ironischerweise verstand niemand so recht, wieso der strahlend blaue Himmel plötzlich so bedrohlich geworden war. Es gab keine dunklen Wolken, die den Himmel verfinsterten, oder gar panische Menschen, die vor ätzenden Schwefelgasen füchteten – und doch erfüllte Angst den Luftraum.
    Ratlose Politiker verwiesen auf einberufene Kommissionen, und diese wiederum stützten sich auf die Meinung achselzuckender Experten, die in Sondersendungen erklärten, dass noch viele Messungen nötig seien, bis man abschließend Entwarnung geben könne. Die Bedrohung sei gegeben, auch wenn sie für uns Laien unsichtbar sei. Man präsentierte den Wartenden bunte Computermodelle, welche die Ausbreitung der Asche in unterschiedlichen Höhen zeigten, und versprach uns baldige Messungen und verbindliche Grenzwerte.
    Als EU-Kommissionen Umsatzausfälle in Milliardenhöhe meldeten, wurde es den Unternehmern dann doch zu bunt, und kurzerhand hob man das Flugverbot wieder auf, ohne wirklich mehr zu wissen. Da in den folgenden Wochen die Flugzeuge noch immer nicht vom Himmel fielen, akzeptierten selbst die Experten die Rückkehr zur Normalität: Geowissenschaftler rehabilitierten ihre Zunft und bestätigten, dass es sie dennoch gab, die Asche aus Island. Bei einer Korngröße von weniger als 0,01 Millimetern enthielt ein KubikmeterLuft etwa 60 Mikrogramm Asche. Die Staubmenge entsprach einer Kinderschaufel voll Staub verteilt über die ganze Göttinger Innenstadt!
    Der isländische Vulkan reiht sich somit in die endlose Liste an Erklärungen und Ausreden ein, die man uns Laien allzu gerne präsentiert. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um Zugverspätungen, steigende Benzinpreise, fallende Aktienkurse oder die überbordende Staatsverschuldung handelt. Es gibt immer Erklärungen: Einmal sind es die ausbleibenden Regenfälle im Westen der USA, einmal die stockenden Arbeitsmarktzahlen in Südostasien oder die zögerlichen Wachstumsprognosen aus Japan. In unserer komplizierten und undurchsichtigen Industriegesellschaft scheint sich das einfache Gesetz von Ursache und Wirkung ohnehin allmählich aufzulösen. Das Ergebnis ist eine entmündigende Ohnmacht. Trotz aller Aufklärung und scheinbarer Rationalität macht sich eine gefährliche Gutgläubigkeit breit.
    Wenn es so weitergeht, bringt irgendwann
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