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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
Autoren: Thea Dorn
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Lebensphase hinter mir. Und ich bin froh, dass ich keine Energie mehr darauf verschwenden muss, mir auszumalen, was ich alles tun werde, »wenn ich groß bin« – sondern dass ich meine ganze Kraft in die Gestaltung jenes Lebens stecken kann, das ich tatsächlich führe: Mit dem Beruf, den ich liebe, mit dem Mann, den ich liebe, in der Stadt, in der ich heimisch geworden bin.
    Habe ich einfach nur Glück gehabt? Oder gibt es einen Grund, warum ich mich mit Ende dreißig in meinem Leben angekommen fühle – und das, obwohl mir alle Attribute der klassischen, »bürgerlichen« Arriviertheit fehlen: Weder bin ich verheiratet, noch habe ich Kinder oder ein Eigenheim – während Nina von dem Gefühl gehetzt wird, sich in der Warteschleife zu ihrem eigentlichen Leben verheddert zu haben?

Das heimliche Aschenputtel
     
    Anfang der 8oer Jahre veröffentlichte die amerikanische Psychotherapeutin Colette Dowling ein Buch, in dem sie analysiert, warum so viele scheinbar emanzipierte, beruflich durchaus erfolgreiche Frauen mit ihrem Leben unzufrieden sind – unabhängig davon, ob sie in Beziehungen leben oder nicht, und unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Es heißt Der Cinderella-Komplex, und die Autorin kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: »Im tiefsten Inneren will ich nicht selbst für mich sorgen. Ich möchte, dass es jemand anders tut.«
    Gerade jüngere Frauen verdrehen allerdings genervt die Augen, wenn man den Verdacht äußert, dass sie, fünfundzwanzig Jahre später, immer noch an diesem »Cinderella-Komplex« litten. Ich bin sicher: Auch ich hätte in meinen Zwanzigern angefangen loszufauchen, hätte mir jemand unterstellt, auf dem Grunde meines rebellisch spätpubertären Herzen ein Aschenputtel zu sein. Als ich das Buch vor einigen Jahren las, musste ich jedoch an meine eigenen, völlig missratenen Beziehungsversuche der damaligen Zeit denken. Nach allem, was ich heute weiß, bin ich wohl tatsächlich nicht auf der Suche nach einem »Beschützer« im klassischen Sinne gewesen – aber hatte ich von meinen »Partnern« nicht insgeheim erwartet, dass sie mich mit mir versöhnten? Dass sie mir endlich zeigten, was in mir steckt? Wer ich wirklich bin?
    Bei den Gesprächen, die ich zu meinem Interviewbuch Die neue F-Klasse geführt habe, war ich überrascht, als Sarah Wiener, die erfolgreiche Köchin und Unternehmerin, die gewiss nicht im Verdacht steht, ein Aschenputtel zu sein, unverblümt zugab: »Obwohl meine Mutter zu mir [...] immer gesagt hat: >Heirate bloß nie!<, habe ich meine Internatszeit im Wesentlichen damit zugebracht, von dem tollen Typen zu träumen, der eines Tages kommen und mich auf seinen starken Händen endlich in mein Leben hineintragen wird. [...] Als Jugendliche dachte ich nur: Ich kann nichts und bin nichts. Gleichzeitig hatte ich tief in mir drin das Gefühl: Aber eigentlich bin ich ja etwas ganz Besonderes und Tolles. Vielleicht war ich so eine Art Froschkönigin. Ich dachte, wenn der Prinz auf dem weißen Schimmel angeritten kommt und mich küsst, dann bricht mein Lebensglück, dann brechen Glanz und Gloria endlich hervor.«
    Auf meine Nachfrage, ob es denn so gekommen sei, antwortete Sarah Wiener lachend: »Ich muss meinen beiden Ehemännern wirklich dafür danken, dass sie keine Mr . Rights waren. Wer weiß, wenn sie zuverlässiger, >perfekter< gewesen wären, hätte ich vielleicht noch viel länger gebraucht, um zu erkennen, was eigentlich jedes Horoskop-Abziehsprüchlein weiß: >Dein wahres Glück, liebe Sarah, das liegt nur in dir selbst.«‹
    An diese Selbsterkenntnis und an Ninas Unglück musste ich denken, als mir das Buch Neue deutsche Mädchen von Jana Hensel, Jahrgang 1976, und Elisabeth Raether, Jahrgang 1979, in die Hände fiel. Anfangs ärgerte ich mich über den Titel, weil ich es für einen albernen Verlagseinfall hielt, ein Buch über dreißigjährige Frauen Neue deutsche Mädchen zu nennen. Doch im Laufe der Lektüre wurde mir klar, dass derTitel keinem bloßen Marketingkalkül entsprungen war, sondern dass die Autorinnen sich tatsächlich eher als unbehauste, suchende »Mädchen«, denn als gestandene Frauen begriffen.
    So schreibt etwa Elisabeth Raether: »Ich blieb in keiner meiner Berliner Wohnungen länger als ein Jahr [...] Deshalb machte ich mir gar nicht erst die Mühe, mich einzurichten. Von den Zimmerdecken hingen Glühbirnen, statt Bilder aufzuhängen, klebte ich mit Tesafilm Postkarten an die Wand; meine Bücher stapelte ich auf dem Boden.
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