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Accra: Roman (German Edition)

Accra: Roman (German Edition)

Titel: Accra: Roman (German Edition)
Autoren: Kwei Quartey
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parkte unter einem blühenden Flammenbaum, der einen willkommenen Farbtupfer inmitten all des trüben Graubrauns bildete. Der Empfang war gleich hinter dem Eingang links. Geradeaus standen zwei alte Särge übereinandergestapelt, die schon seit Jahren dort waren und inzwischen zum Mobiliar gehörten. Dawson wandte sich nach links zur Rezeption, über der eine Wandtafel verkündete: JESUS CHRISTUS STARB FÜR EURE SÜNDEN. Bei Dawsons Anblick sprang der junge Lance Corporal hinter dem Tresen sofort auf.
    »Morgen, Massa«, begrüßte er ihn, statt mit dem üblichen »Sir«. Vielleicht war die Anrede aus der britischen Kolonialzeit übrig geblieben, als schwarze Polizisten ihre weißen Vorgesetzten »Master« nannten; inzwischen hatte sie sich jedenfalls als Anrede für Ranghöhere etabliert.
    »Morgen, Brempong«, sagte Dawson. »Wie geht’s?«
    »Bestens, Massa.«
    »Ist Dr. Biney da?«
    »Ja, Massa, er ist schon drinnen.«
    »Danke.«
    »Gerne.«
    Dawson ging durch die Doppeltür, über der KEIN ZUTRITT stand. Direkt dahinter befand sich die Gerichtsmedizin, was Dawson bei seinem ersten Besuch ziemlich erschrocken hatte. Es gab nur zwei Autopsietische für einen Rückstau an Leichen, deren Zahl in die Hunderte ging. Vier Assistenten waren ständig in Bewegung, sodass der Raum etwas von einer stark befahrenen Straßenkreuzung hatte. Dr. Biney war am rechten Tisch. Er trug eine Maske, doch als er zu Dawson aufsah, erkannte dieser an Bineys gekräuselten Augenwinkeln, dass er lächelte.
    »Inspector Dawson! Willkommen.«
    »Danke, Dr. Biney, freut mich, Sie zu sehen.«
    »Ich schließe nur rasch diese Untersuchung ab, dann nehmen wir uns Ihren Fall vor. Möchten Sie sich schon mal fertig machen?«
    Dawson ging in den Nebenraum, wo er zu einer Maske griff. Als Nächstes kam der Kittel. Dann holte er einmal tief Luft und kehrte in den Autopsieraum zurück. Der Gestank hier war moderater und weniger schlimm als beispielsweise an der Korle-Lagune, zugleich aber eigentümlich durchdringend.
    Dr. Biney und seine Assistenten führten einen hektischen, aber streng choreografierten Tanz auf. War ein Fall abgeschlossen, kippten zwei Assistenten die Organe wieder in die Leiche zurück und hievten diese auf eine Rolltrage. Während sie einen Toten herausrollten, wurde der nächste schon in den Raum gebracht. Gleichzeitig bereitete ein Mitarbeiter am zweiten Seziertisch den neuen Fall vor, indem er einen Längsschnitt vom Hals bis zum Schambein ausführte. Dawson war schon oft hier gewesen, und trotzdem hatte er sich noch immer nicht an die Geschäftsmäßigkeit gewöhnen können, mit der das Team arbeitete. Innerlich zuckte er nach wie vor zusammen, wenn die Leichen mit einem Scheppern auf der Metallbahrelandeten. Entspann dich , sagte er sich immer wieder. Die merken nichts mehr .
    Während sie warteten, plauderte Dawson mit Dr. Biney. Es war keine oberflächliche Nettigkeit, denn die beiden Männer freuten sich ehrlich, einander zu sehen.
    »Legen wir los«, sagte Biney, als Dawsons Fall hereingerollt wurde. »Bereit?«
    Die Leiche war nebenan gewaschen worden, sodass sie ein klein wenig besser aussah als am Vortag. Die Verwesungsspuren indes waren noch genauso furchtbar, und der Geruch rief immer noch Brechreiz hervor. Die oberste Hautschicht schlug Blasen und löste sich stellenweise ab. Darunter kam eine verblüffend weiße Schicht zum Vorschein. Der Bauch war extrem aufgebläht und rund wie eine Domkuppel.
    »Die Fäulnis konnte auch durch die Kühlung nicht ganz gestoppt werden«, sagte Biney, dem Dawsons Blick nicht entging. »Die Natur macht nun mal, was sie will, nicht?«
    Dawson verzog das Gesicht und bemühte sich, nicht zu würgen. »Das ist manchmal schwer auszuhalten.«
    »Ja, ist es. Haben Ihre Ermittlungen schon irgendetwas ergeben?«
    »Nichts. Wir haben keine Ahnung, wer er ist.«
    Dr. Biney drehte sich zu George. Er war ein Urgestein der Gerichtsmedizin, der erfahrenste unter den Assistenten. »Haben Sie beim Waschen etwas Interessantes entdeckt?«
    »Ja, Doctor, wenn Sie erlauben«, antwortete George unterwürfig. »Zuerst fiel uns dies hier auf.«
    Er hob die rechte Hand der Leiche an.
    »Aha.« Dr. Biney trat näher. »Der Daumen und sämtliche Finger bis auf den Zeigefinger wurden abgehackt.«
    »Sind die Wunden frisch?«, fragte Dawson.
    »Wahrscheinlich. Sie wurden ihm entweder unmittelbar vor dem Tod oder direkt danach beigebracht.«
    Dr. Biney sah zu Dawson, der die Mundwinkel hinter derMaske nach unten
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