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Abtruennig

Abtruennig

Titel: Abtruennig
Autoren: Vanessa Dungs
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verbergen, weil mein Blick mich verraten konnte. Für mein junges Aussehen lag einfach zuviel Wissen darin, denn ich wirkte noch immer wie ein zweiundzwanzigjähriger Mann; das war mein Alter, als ich verwandelt wurde. Die jungen Frauen würden mich allerdings schnell wieder vergessen, das war gut so. Genauso musste es nun einmal sein.
    Ich erreichte den großen Zugang der Eingangshalle. Die Tür war nur halb geöffnet, doch mir stieg augenblicklich ein Geruch in die Nase, der mir irgendwie bekannt vorkam. Meine gesamte Aufmerksamkeit wurde sofort nur auf eine einzige Person gelenkt: es war eine junge Frau und sie war so atemberaubend schön, dass ich sicherlich erstickt wäre, wenn ich Luft benötigt hätte. Ich hatte tatsächlich aufgehört, Sauerstoff in meine Lungen zu pumpen, was wir in der Regel aber sowieso nur zu Tarnungszwecken taten.
    Ihr Duft trieb mir wellenartig entgegen und ich sog ihn gierig ein. Sie roch nicht wie die anderen Menschen um mich herum. Vanille, schoss es mir durch den Kopf. Diese Nuance war aber noch mit etwas anderem vermischt, was ich in diesem Moment jedoch nicht deuten konnte, aber ich wusste, dass ich dieses Aroma bereits kannte. Es musste allerdings schon eine ganze Weile her sein...
    Meine Augen folgten jeder ihrer anmutigen Bewegungen, während ich mir mein Hirn zermarterte, um mich zu erinnern. Die erhofften Bilder blieben allerdings aus, also änderte ich kurzerhand meine Richtung und ging auf sie zu. Das war ein absolut untypisches Verhalten, doch ich folgte meinem Drang, obwohl ich nicht bestimmen konnte, warum ich überhaupt so empfand. Sie war schließlich kein Vampir, sondern nur ein gewöhnlicher Mensch, der auch nicht sonderlich bedrohlich auf mich wirkte. Es gab also überhaupt keinen Grund, warum ich auf dieses Mädchen zumarschierte. Meine innere Stimme wurde plötzlich nervös, als sie bemerkte, was ich gerade vorhatte. Sie kam aber nicht dazu, einen Einwand vorzubringen.
    Ich vernahm plötzlich einen Heidenlärm, lange bevor die Quelle auch für andere hörbar war. Zwei Jungs grölten sich auf den Gängen lautstark irgendwelche Beschimpfungen zu, es hatte anscheinend etwas mit dem bevorstehenden Rugbyspiel im Dezember gegen Oxford zu tun. Nach kurzer Zeit kamen sie um die Ecke gerannt, dabei boxten sie sich spielerisch in die Seiten. Sie stolperten in Richtung der Treppe, wo sich auch das Mädchen aufhielt. Es war geradezu vorprogrammiert, dass die beiden Rüpel sie rammen würden, wenn sie so weiter liefen. Sie schienen die junge Frau gar nicht zu bemerken, obwohl sie unmittelbar vor ihnen auf der obersten Stufe stand. Sie war damit beschäftigt einen Stapel Papiere zu sortieren, den sie auf ihrem Arm trug.
    Das konnte gar nicht gut gehen! Ich beschleunigte meine Schritte, um in ihrer Nähe zu sein.
    Und wie ich es erwartet hatte, rempelte einer der beiden Typen das Mädchen unsanft an. Er stürmte einfach weiter, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, stehen zu bleiben oder sich zu entschuldigen. Blätter wirbelten durch die Luft und sie verlor durch die Wucht des Aufpralls sofort das Gleichgewicht. Blitzschnell war ich bei ihr und ich fing sie auf, bevor sie auf den Boden aufschlagen konnte. Wären nicht so viele Leute um uns herum gewesen, dann hätte ich auch die Papiere aufgesammelt, ehe sie nach unten flattern konnten. Kein normaler Mensch würde jedoch solche Reflexe besitzen, also wäre es natürlich viel zu auffällig gewesen, ich ließ es demnach einfach bleiben. Für das Mädchen war dieser Moment vermutlich rasch vorbei gegangen, für mich jedoch dehnten sich diese Sekunden aus. Mein ausgezeichnetes Wahrnehmungsvermögen ließ das ganze Szenario fast schon in Zeitlupe ablaufen. Die Blätter schwebten durch die Luft, wie riesige, unförmige Schneeflocken. Es war ein leichtes die Frau in meine Arme zu nehmen, ehe sie hinfallen konnte. Ich war in diesem Moment froh, dass ich Handschuhe trug, so berührte ich ihre Haut nicht mit meinen bloßen Händen. Es würde wettertechnisch bald endlich wieder kühler werden, dann wäre es nicht mehr so dramatisch einen warmen Menschen anzufassen. Ich mochte den Winter, denn diese Jahreszeit kam meiner normalen Körpertemperatur näher als jede andere.
    „ Nicht so stürmisch“, sagte ich lächelnd, als mich das Mädchen mit ihren blauen Augen schließlich anstarrte.
    Sie wirkte mehr als erschrocken, jetzt wo die Erkenntnis endlich in ihr Bewusstsein zu sickern schien. Und mir dämmerte es schlagartig. Aber konnte das
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