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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie
Autoren: Hans-Peter Nolting
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Beziehung. Insofern gilt eher: «Gleich zu Gleich gesellt sich gern».
«
Vollmond
fördert Verbrechen und stört den Schlaf.» Nach der Forschung muss es heißen: Freispruch für den Mond! Weder Verbrechen noch psychiatrische Einweisungen noch Schlafstörungen sind häufiger bei Vollmond als in anderen Mondphasen. Der subjektive Eindruck mag aber anders sein: Man schläft schlecht, man wacht auf – und man sieht den Mond. Schon scheint der Zusammenhang klar. Wie oft der Mond
nicht
schien, wenn man schlecht schlief, das prägt man sich nicht ein.
«Wenn du bei einem Test oder Quiz zwischen mehreren Antworten schwankst,
folge der ersten Eingebung
.» Bei schriftlichen Tests mit Ankreuzaufgaben, bei denen auf dem Papierbogen das Korrigieren von Lösungen zu erkennen war, stellten Untersucher fest, dass die ursprünglichen Antworten häufiger falsch waren als die schließlich gewählten. Das spricht eher fürs Nachdenken (das allerdings nicht hilft, wenn man nicht die Spur einer Ahnung hat).
«Das Kauen von
Kaugummi
fördert die Denkleistung (‹Kau dich schlau›).» Man kann darüber streiten, ob es pädagogisch sinnvoll ist, im Schulunterricht das Kauen von Kaugummi zu verbieten. Dass die Schüler/innen dadurch an guten Leistungen gehindert werden, ist jedoch unwahrscheinlich. Eine neue, gründliche und umfangreiche Studie mit etwa tausend Schüler/innen konnte keinerlei segensreiche Wirkungen auf Denkleistungen, Konzentration und Gedächtnisleistungen ermitteln; man fand sogar eine leichte Tendenz zugunsten der Nichtkauer. Frühere kleine Studien hatten das Gegenteil behauptet.
«Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.»
Dieser altbekannte Spruch ist zwar nicht ganz falsch – aber auch nicht ganz richtig. Die Tendenz der Forschung lautet: Kinder lernen leichter, wo es um körpernahe Funktionen geht, um das Lernen im Bereich der Sinneswahrnehmung und der Motorik. Beispiele sind etwa das Radfahren und Gleichgewichthalten, das akzentfreie Sprechen einer Fremdsprache, das erkennende Wahrnehmen von Gegenständen und räumlicher Tiefe (ist für Blinde, deren Augen später erfolgreich operiert wurden, nicht mehr nachzuholen). Kinder sind hingegen unterlegen, wenn es um kulturelle Lerninhalte geht, also um schulisches und akademisches Wissen, zumal wenn es planmäßig gelernt werden soll. Hier sind Erwachsene überlegen, weil sie mehr Vorkenntnisse mitbringen, mehr Lernstrategien einsetzen und sich beim Lernen besser kontrollieren. Auch beim «Memory» könnten sie (bei vergleichbarer Übung) gewinnen, aber wollen sie das? Im Übrigen unterschätzt die Volksweisheit ganz erheblich die Lernfähigkeit im Alter!
    Wenn die Kapitel  7 , 9 und 11 unter dem Titel «Populäre Irrtümer und Kurzschlüsse» stehen, so werden diese beiden Begriffe in folgender Weise unterschieden: Mit
Irrtümern
sind Behauptungen gemeint, die im Widerspruch stehen zu allen oder den allermeisten wissenschaftlichen Befunden. Das Stereotyp vom Einzelkind oder die schlimmen Wirkungen des Vollmondes sind zwei Beispiele für regelrechte Irrtümer. Mit
Kurzschlüssen
sind Annahmen gemeint, die zwar nicht ganz falsch sind, aber die Dinge über Gebühr vereinfachen. Sie enthalten zwar ein Körnchen Wahrheit, sind aber zugleich irreführend, da sie zu vorschnellen Schlüssen verleiten, wo man noch weitere wichtige Gesichtspunkte beachten müsste. Die Sache mit Hänschen ist hierfür ein Beispiel. Die meisten Fehlannahmen, die in diesem Buch behandelt werden, gehören in die Rubrik Irrtümer.
    Haben Fehlannahmen Folgen?
Wenn ein Mensch glaubt, dass sich die Sonne um die Erde dreht, ist das ein physikalischer Irrtum, der vermutlich keine Auswirkungen auf sein Leben und Erleben hat. Wenn aber jemand glaubt, dass der Vollmond den Schlaf stört, ist das ein psychologischer Irrtum, der vermutlich nicht folgenlos bleibt: Die Erwartung: «Heute ist Vollmond, da schlaf ich bestimmt schlecht» könnte nämlich eine Unruhe erzeugen, die tatsächlich den Schlaf stört. Das wäre ein Beispiel für eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
    Psychologische Fehlvorstellungen sind häufig nicht folgenlos. Denn sie kommen ja meist dort ins Spiel, wo es um Lebensprobleme und Entscheidungen geht und man eine Orientierung benötigt, also z.B. bei der Einschätzung von Personen oder in der Kindererziehung. Die in den späteren Kapiteln erörterten Mythen können fast alle eine praktische Bedeutung erlangen, indem sie zu Fehleinschätzungen oder ungeeigneten
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