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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu
Autoren: Esther Verhoef
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Augen sind immer mit hellem und dunklem Lidschatten in Silbertönen geschminkt. Ihre Augenbrauen sind dünn gezupft und fast schwarz nachgezogen, und ihre Lippen wirken größer, weil sie sie mit einem dunklen Lipliner umrahmt. Der Lippenstift selbst ist ein wenig verwischt.
    Meine Mutter duftet schön frisch, eine Erleichterung nach dem Gestank im Treppenhaus. Da sie Parfüm nicht leiden kann, vermute ich, dass es ihr neues Waschmittel ist. Wie arm wir manchmal auch gewesen sind, gewaschen hat meine Mutter konsequent mit teuren Markenwaschmitteln. Dieser Gewohnheit ist sie immer treu geblieben.
    »So, komm doch rein, Schatz.« Sie drückt die Tür hinter mir ins Schloss, legt zusätzlich eine Kette vor und schließt ab.
    »Hast du Angst, du könntest entführt werden?«, frage ich scherzhaft.
    Sie schüttelt entnervt den Kopf und murmelt etwas über die Jugend von heute. Dann nimmt sie mir die Plastiktüte aus der Hand und geht damit in die Küche. »Mach es dir schon mal gemütlich. Ich koche so lange Kaffee.«
    Ich setze mich auf das Zweisitzersofa am Fenster. Bambi, ein graues Hundewollknäuel mit einem schwarzen, feuchten Stupsnäschen, liegt lang ausgestreckt auf dem beigefarbenen Teppich. Sie rollt sich auf den Rücken und will, dass ich ihr den Bauch kraule. Sie wedelt mit dem Schwanz und grunzt leise.
    »Oh, wie lecker!«, ruft meine Mutter in der Küche. Sie hat den Kuchen entdeckt. »Das wäre doch nicht nötig gewesen. Das Backen habe ich noch nicht verlernt, weißt du.«
    Ich ziehe Bambi auf meinen Schoß und kraule die warmen Grübchen hinter ihren Ohren. Dabei schaue ich aus dem Fenster.
    Hier sitzt meine Mutter oft. Ganze Tage verbringt sie auf diesem blauen Stoffsofa, die Füße auf einen dazu passenden Hocker gelegt, und sieht fern oder beobachtet die Leute draußen auf der Straße. Sie ist nicht unzufrieden über ihre Aussicht: die Seitenfassade des Apartmentkomplexes auf der anderen Straßenseite und das bewachte Metalltor vor dem Parkplatz, der zu diesem Komplex gehört. Links davon verläuft eine dicht befahrene Straße. Vier Fahrstreifen, Ampeln, Radfahrer, Rollerfahrer, Lkws, vierundzwanzig Stunden pro Tag Leben.
    »Es gibt immer etwas zu sehen«, sagt sie, als könne sie meine Gedanken lesen, und stellt eine Tasse Kaffee vor mich hin. »Setz Bambi doch auf den Boden, sonst kommst du nicht zum Kaffeetrinken.«
    »Ach, sie stört mich nicht.«
    »Wie geht es Fleur und Charlotte? Warum bringst du deine Süßen nie mal mit? Ich kaufe immer etwas zum Naschen für sie ein, und dann muss ich die Sachen wegwerfen, weil sie irgendwann abgelaufen sind.«
    Ich stoße einen tiefen Seufzer aus. »Weißt du – es ist eine ziemlich weite Fahrt, Mama. Eine Stunde hin, eine Stunde zurück. Das kann ich ihnen nicht zumuten, Charlotte leidet doch so stark unter Reisekrankheit und – und hier können sie nicht richtig spielen. Komm du lieber uns mal besuchen.« Ich blicke sie an. »Charlotte feiert in zwei Wochen ihren sechsten Geburtstag. Soll ich dich dann abholen kommen? Vielleicht könntest du sogar ein oder zwei Tage bei uns bleiben? Oder die ganze Woche, wenn du möchtest?«
    Ihre Augen leuchten auf. »Aber gerne! Bist du dir sicher, dass ich nicht störe?«
    »Aber nein, Mama, wirklich nicht. Wie kommst du nur darauf? Ich freue mich doch, wenn du da bist, und Fleur und Charlotte freuen sich auch.«
    »Und Harald?«
    »Er freut sich genauso. Das weißt du doch.« Harald hat es mir nie ausdrücklich gesagt, aber ich weiß, dass er sie gerne mag. Er betrachtet sie als seine zweite Mutter.
    »Ach, jetzt habe ich den Kuchen vergessen.« Sie macht Anstalten, aufzustehen, aber ich strecke die Hand aus und bedeute ihr, sitzen zu bleiben.
    »Bleib sitzen, ich hole ihn schon.«
    »Hör mal, ich bin doch keine alte Frau!«
    »Nein, aber auch nicht mehr ganz jung.«
    Die Küche meiner Mutter ist ungefähr so groß wie meine Kochinsel und mit weißen Schränkchen mit Plastikgriffen eingerichtet. Die Wände sind gelb gekachelt, und auf dem Boden liegt orange-meliertes Linoleum. Auf der Anrichte steht bereits ein Schneidebrett mit dem ausgepackten Schokoladenkuchen und einem Messer.
    Ein seltsamer, ekliger Geruch hängt in dem kleinen Raum. Unwillkürlich blicke ich mich um, auf der Suche nach der Ursache. Unter der Anrichte, wo Platz für ein weiteres Schränkchen wäre, steht ein Katzenklo mit einer Lage Zeitungen darin. Auf den alten Nachrichten liegt ein frischer Haufen.
    »Igitt!«, rufe ich. »Was ist das
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