Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby
Autoren: S Dessen
Vom Netzwerk:
ausgedehnte Ausflüge ins Café. Er kehrte nicht an die Perkins Day zurück; Cora hatte dafür gesorgt, dass er das Lernpensum, das ihm für den Rest des Schuljahrs blieb, schriftlich   – per Post oder online   – erledigen konnte. Viel war es ohnehin nicht mehr. Doch weil ich ihn nun in der Schule nicht mehr sah, kam ich jeden Nachmittag ziemlich nervös heim. Rief schon unten in der Eingangshalle seinen Namen. Konnte endlich nachvollziehen, was Cora und Jamie in den ersten Wochen mit mir hatten durchmachen müssen   – so erleichtert war ich jedes Mal, wenn ich auf mein Rufen hin seine Stimme hörte.
    Unterschwellig war mir die ganze Zeit über bewusst, dass er bald nicht mehr da sein würde. Allerdings sprach ich das Thema nie direkt an. Nate hatte genug Probleme. Außerdem war momentan nichts wichtiger, als dass ich für ihn da war. Wie auch immer. Er entschied, was er von mir brauchte. Diese Einstellung bewahrte mich allerdings nicht davor, einen schmerzhaften Stich in der Magengrube zu spüren, als ich eines Morgens   – am Tag seines Abflugs   – von der oberen Etage runter in die Eingangshalle kam, wo er mit gepackten Koffern stand und mir entgegenblickte.
    Ich war nicht die Einzige, der das alles sehr naheging. Cora hatte, während sie sich von ihm verabschiedete, die ganze Zeit über Tränen in den Augen und hielt sich an ihrem Taschentuch fest. »Ich rufe dich heute Abend an, um sicherzugehen, dass du gut angekommen bist«, sagte sie zu ihm. »Und mach dir keine Sorgen, wie es hier weitergeht, mit der Schule et cetera. Ich habe alles geregelt.«
    »Okay«, erwiderte Nate. »Vielen Dank. Für alles.«
    »Meld dich. Hier läuft nichts mit ›aus den Augen, aus dem Sinn‹, okay?« Jamie zerquetschte ihn fast, so fest umarmte er ihn. »Du gehörst jetzt zur Familie.«
    Familie
, dachte ich, als wir die Zufahrt Richtung Straße entlangfuhren. Es war sehr früh am Morgen, die meisten Leute in der Nachbarschaft schliefen noch, die Häuser lagen im Dunkeln. Wir kamen an den gewaltigen, aufrecht stehenden Felsbrocken vorbei, welche die Grenze unseres Viertels markierten. Ich erinnerte mich gut daran, wie ich mich gefühlt hatte, als ich vor so vielen Monaten zum ersten Mal an ihnen vorbeikutschiert wurde. Als alles so neu und anders gewesen war.
    »Bist du nervös?«, fragte ich Nate, während ich mich auf der Hauptstraße in den Verkehr einordnete.
    »Eigentlich nicht«, antwortete er, lehnte sich auf seinem Sitz zurück. »Irgendwie kommt mir alles noch ziemlich unwirklich vor.«
    »Das ändert sich demnächst«, erwiderte ich. »Irgendwann macht es
klick
, und du weißt: Das ist die Realität. Wahrscheinlich genau in dem Moment, in dem es zu spät ist umzukehren.«
    Er lächelte. »Aber ich komme doch wieder. Ich muss bloß erst Arizona und meine Mutter überleben.«
    »Glaubst du, es wird so übel?«
    »Keine Ahnung. Schließlich nimmt sie mich nicht freiwillig wieder bei sich auf, sondern bloß, weil sie muss.«
    Ich nickte, bremste an einer roten Ampel. »Trotzdem, man weiß nie. Vielleicht erlebst du ja eine Überraschung mit ihr«, meinte ich. Da er nach wie vor ziemlich skeptisch wirkte, fügte ich hinzu: »Wie auch immer, denk gar nicht erst dran, gleich in der ersten Nacht abzuhauen oder über irgendwelche Zäune zu klettern. Wart wenigstens ein paar Tage ab.«
    »Aha.« Er warf mir einen leicht süffisanten Blick zu. »Noch mehr gute Ratschläge?«
    Ich wechselte die Spur, fuhr auf die Autobahn. Es war so früh, dass wir ganz allein auf weiter Flur waren. »Tja, falls es da irgendeinen freundlichen Nachbarn oder von mir aus auch eine Nachbarin gibt, die versuchen, nett zu dir zu sein, führ dich nicht auf wie der letzte Tölpel«, antwortete ich.
    »Weil man ihn   – oder sie   – später ja vielleicht noch braucht«, konterte er. »Damit sie einen im Wald auflesen.«
    »Bingo.«
    Ich spürte seinen Blick auf mir ruhen. Doch er schwieg. Wir näherten uns der Abfahrt zum Flughafen. Ich setzte den Blinker. Während wir um die Kurve fuhren, sah ich über uns ein Flugzeug   – ein glänzender, weißer Splitter, der nach oben schwebte, immer weiter hoch.
    In der großen Halle des Flughafens herrschte trotz der frühen Stunde bereits ziemlicher Betrieb. Menschen reisten ab, kamen an. Wir luden Nates Krempel aus dem Kofferraum, stapelten alles auf dem Bürgersteig auf. Die Sonne ging gerade auf, der Himmel über uns war rosa gestreift. »Na gut«, meinte ich schließlich. »Hast du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher