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Abitreff (German Edition)

Abitreff (German Edition)

Titel: Abitreff (German Edition)
Autoren: Darius von Benin
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gehe!“
     
    „Das kannst du natürlich machen, du bist ein freier Mann und das hier
ist kein Gefängnis und wir nicht die Wärter. Du kannst versuchen, die Sache nur
mit dir selbst auszumachen, so alleine im stillen Kämmerlein, aber …“ Der
Beamte trank einen Schluck. „… sei mir bitte nicht böse, aber ich glaube nicht,
dass du dann mit dir ins Reine kommen wirst.“
     
    Der Banker hatte Fragezeichen in den Augen. „Wieso? Ich habe bis jetzt
immer alles erreicht.“
     
    „Mag sein, aber …“ Matthias zögerte kurz. „… es geht bei der
Entscheidung nicht darum, ob du dir einen Neu- oder doch lieber den Jahreswagen
kaufen solltest, es … es ist eher die Frage, welchen Weg du künftig einschlagen
willst. Auf beiden Strecken gibt es Schlaglöcher und Unwegsamkeiten, aber es
ist immer einfacher, Dritte für das eigene Scheitern verantwortlich zu machen.
Die Frage ist relativ simpel: Spielst du jetzt Pfadfinder und übernimmst selbst
die Verantwortung oder wählst du die leichte Variante und gehst den Weg, von
dem andere Leute wollen, dass du ihn gehst.“
     
    Schrecken war auf das Gesicht des Gastes geschrieben. „Wie soll der
aussehen?“
     
    „Wahrscheinlich wirst du heiraten, vielleicht ein oder zwei Kinder
zeugen, nach außen hin auf ‚heile Familie‘ machen, aber in deinem Inneren? In
deinem Innern wirst du einsam sein, dich nach der Umarmung eines Mannes, selbst
nach einem intensiven Blick sehnen. Du wirst auf Parkplätze fahren, in
Pornokinos gehen und dort anonymen Sex haben. Aber …“ Matthias blickte den
Banker an. „… aber wenn dein Orgasmus abgeebbt ist, werden dich sofort wieder
Gewissensbisse plagen: Hat dich jemand gesehen? Jemand beobachtet? Deinen Wagen
erkannt? Wie erkläre ich meiner Frau, dass ich einen Tripper habe? Von anderen
Sachen will ich gar nicht erst reden, aber … es ist deine Entscheidung, welche
Route du nehmen willst. Nimm mal Cihad als Beispiel.“
     
    Der junge Türke bekam große Augen. „Was ist mit ihm?“
     
    „Was meinst du, wie sein Lebensweg ausgesehen hätte, wenn seine Eltern
ihn damals nicht bei gewissen Spielchen erwischt hätten?“ Der Controller
blickte seinen Liebsten an, der zwar erst schluckte, dann aber doch zustimmend
nickte. „Es wäre ungefähr so abgelaufen: Cihad geht zurück in die Provinz, sein
Vater hat ja Geld in seine Ausbildung investiert und will jetzt die Früchte
seiner Saat ernten: Er wird verheiratet, sein Vater bestimmt, mit wem er sich
paart, mit wem er sich trifft, was für Geschäfte er macht, einfach alles.
Freier Wille? Eigene Wünsche? Fehlanzeige! Er wird ein physisches und
psychisches Wrack, da andere Menschen und nicht er selbst über sein Leben
bestimmen. Er wäre nie glücklich geworden, denn seine gesamte Umgebung wäre von
anderen Wracks bestimmt worden, für die Konventionen mehr zählen als
menschliche Seelen.“
     
    „Aber … aber so muss es doch nicht ablaufen, oder?“ Verzweiflung lag in
seiner Stimme.
     
    Matthias zuckte mit den Schultern. „Nicht zwangsläufig, es kann noch
schlimmer enden!“
     
    „Wie?“
     
    „Ich hab damals in Bonn mit dem Studium angefangen, hatte ein kleines
Apartment in der Bonner Nordstadt, ziemlich internationale Nachbarschaft:
Türken, Kurden, Inder, Iren, Amis … ein ziemlich bunter Haufen. Erhan betrieb
im Viertel die Lotto-Annahmestelle, war damals ungefähr so alt wie ich heute.
Ich hab damals für ihn ein paar Briefe formuliert, Schreiben für eine
Versicherung und so, nichts Weltbewegendes, aber … wir wurden Freunde oder gute
Bekannte oder wie immer du das nennen möchtest.“ Der Brillenträger schüttete
sich etwas Wein nach. „Ich kannte seine ganze Familie: seine Frau, seine
Mutter, seine vier Kinder. Tja, eines Tages fragte er, ob ich gut in Mathe
wäre, denn sein Sohn Servet hätte darin Probleme und er könne dem Gymnasiasten
nicht helfen.“
     
    „Was hat das mit mir zu tun?“ Der Banker wirkte ungeduldig.
     
    Matthias trank einen Schluck. „Moment, dazu komme ich gleich. Das
mathematische Problem war relativ schnell gelöst, es war ein einfacher
Denkfehler, aber … während der Nachhilfe lernte ich Servet besser kennen: Er
war genauso schwul wie ich und wir haben uns schlussendlich verbündet: Ich habe
ihm und seinem Freund ab und an meine Wohnung überlassen, damit sie ungestört
sein konnten. Was ging es mich auch an? Ich bekam Geld für die Nachhilfe, die
ich nicht gab, und die zwei hatten ihren Spaß, allen war also gedient! Er
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