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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Schwachköpfe wie Goofy imstande waren, sich durch den Paragraphendschungel hindurchzuwuseln, dann konnten das nach Sigurður Ólis Meinung andere auch.
    »Du traust also jetzt schon Paare mit widernatürlichen Neigungen«, sagte Elmar, der zu ihnen getreten war und Ingólfur mit tiefer Trauer in den Augen ansah.
    Oh Mann, nicht schon wieder, dachte Sigurður Óli, erblickte aber im gleichen Moment eine Chance, den Rückzug anzutreten, bevor die beiden sich wieder wegen Glaubensfragen in die Haare gerieten.
    Steinunn ging mit einem Glas Rotwein in der Hand an ihnen vorbei, und Sigurður Óli heftete sich sofort an ihre Fersen. Bis vor Kurzem hatte sie beim Finanzamt gearbeitet, und Sigurður Óli hatte sie hin und wieder um Rat gefragt, wenn er mit seiner Steuererklärung nicht zurechtkam, und sie war ihm immer gern behilflich gewesen. Er wusste, dass sie sich vor einigen Jahren von ihrem Mann getrennt hatte. Seitdem lebte sie alleinund schien es zu genießen. Nicht zuletzt ihretwegen hatte er sich dazu durchgerungen, auf der Party bei Goofy zu erscheinen.
    »Steinunn«, rief er, »ich hab gehört, du bist nicht mehr beim Finanzamt?«
    »Nein, ich arbeite jetzt in derselben Bank wie Goofy«, sagte Steinunn lächelnd. »Ich helfe den Reichen dabei, sich um die Steuern herumzudrücken. Die reinste Goldgrube, sagt Goofy.«
    »Und bestimmt zahlt die Bank besser«, entgegnete Sigurður Óli.
    »Viel besser. Mein Gehalt hat schwindelnde Höhen erreicht«, sagte Steinunn.
    Sie lächelte und entblößte dabei ihre weißen Zähne, während sie eine blonde Locke zurückschob, die ihr in die Stirn gefallen war. Sie hatte schöne, dunkle Augen und färbte ihre Augenbrauen schwarz. Die Haare ringelten sich bis auf die Schultern hinunter, ihr Gesicht war eher breit. Sie sah aus wie eine etwas zu drall geratene Barbie-Puppe, und Sigurður Óli überlegte, ob sie sich dessen bewusst war. Eigentlich zweifelte er nicht daran, denn sie war nicht auf den Kopf gefallen.
    »Ja, wie man hört, nagt ihr nicht am Hungertuch«, sagte Sigurður Óli.
    »Und was ist mit dir, spekulierst du nicht auch ein bisschen?«
    »Ich? Spekulieren?«
    »Du hast doch bestimmt Aktien«, sagte Steinunn. »Jedenfalls würde es gut zu dir passen.«
    »Zu mir passen?«, fragte Sigurður Óli lächelnd.
    »Ja, in dir steckt doch was von einem Zocker?«
    »Ich kann es mir nicht leisten, irgendwelche Risikeneinzugehen«, erklärte Sigurður Óli. »Ich hab nur ganz sichere Wertpapiere.«
    »Was heißt schon sicher?«
    »Ich kaufe nur Bankaktien«, sagte Sigurður Óli.
    Steinunn hob ihr Glas. »Sicherer geht es nicht.«
    »Lebst du immer noch allein?«, fragte er.
    »Ja, und ich genieße es.«
    »Ja, es kann ganz nett sein«, entgegnete Sigurður Óli.
    »Was ist mit dir und Bergþóra?«, fragte Steinunn. »Ich hab gehört, dass es nicht mehr so richtig läuft?«
    »Ja, es läuft ziemlich schief«, gab Sigurður Óli zu. »Leider.«
    »Bergþóra ist eine tolle Frau«, sagte Steinunn, die Bergþóra bei Klassentreffen ein paarmal begegnet war.
    »Ja, das war … Das ist sie. Ich überlege die ganze Zeit, ob wir uns nicht vielleicht einmal treffen könnten. Auf einen Kaffee oder was auch immer.«
    »Ich soll mit dir ausgehen?«
    Sigurður Óli nickte.
    »Meinst du so etwas wie ein richtiges Date?«
    »Nein, Date, ich weiß nicht, oder ja, vielleicht doch, irgendwas in der Art, wenn du so willst.«
    »Siggi«, sagte Steinunn und tätschelte ihm die Wange, »du bist einfach nicht mein Typ.«
    Sigurður Óli sah sie an.
    »Siggi, das weißt du doch, das bist du nie gewesen, bist es nicht und wirst es auch nie sein.«
    »Dein Typ!«
    Sigurður Óli spuckte das Wort fast aus, während er vor dem grauen Mehrfamilienhaus am Kleppsvegur auf den Zeitungsdieb wartete. Typ? Was sollte das eigentlich? War er ein blöderer Typ als die anderen? Undwieso redete Steinunn eigentlich immer über ihren Typ?
    Ein junger Mann mit einem Instrumentenkoffer betrat den Hauseingang. Ohne zu zögern schnappte er sich die Zeitung aus dem Briefkasten und öffnete die Tür zum Treppenhaus mit seinem Schlüssel. Bevor die Tür ins Schloss fallen konnte, war Sigurður Óli bereits am Eingang, setzte seinen Fuß zwischen die Tür und gelangte ins Treppenhaus. Er packte den jungen Mann, dem nichts Böses schwante, auf dem Weg nach oben am Arm, zog ihn zu sich hinunter, entriss ihm die Zeitung und versetzte ihm damit einen Schlag auf den Kopf. Der Mann ließ vor lauter Schreck den Instrumentenkasten
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