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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe
Autoren: Arnaldur Indriðason
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waren entweder Juristen wie Goofy oder Ingenieure, und außerdem gab es noch zwei Pfarrer und drei Ärzte, die eine lange Ausbildung hinter sich hatten. Auch einen Schriftsteller gab es, von dem Sigurður Óli allerdings noch nie eine Zeile gelesen hatte, obwohl er in gewissen Kreisen wegen seiner stilistischen Brillanz hochgejubelt wurde, weil er angeblich an die Schranken irgendwelcher Mysterien rührte, wenn man diesem tiefsinnigen Geschwafel Glauben schenken durfte. Wenn Sigurður Óli sich mit den Leuten ausseiner Klasse verglich und an Erlendur und Elínborg, seine Kollegen bei der Kriminalpolizei, dachte und an all die verkrachten Existenzen, mit denen er sich tagtäglich herumschlagen musste, fiel dieser Vergleich nicht gerade zu seinen Gunsten aus. Seine Mutter war immer der Meinung gewesen, dass er zu etwas Besserem getaugt hätte als zu so etwas , und damit meinte sie die Kriminalpolizei. Sein Vater hingegen war sehr zufrieden mit ihm, weil sein Sohn seiner Meinung nach mehr zum Wohl der Gesellschaft beitrug als manch anderer.
    »Und, wie läuft’s denn so bei der Kripo?«, fragte Patrekur, einer der Ingenieure. Er hatte während Goofys Rede neben ihm gestanden. Sie hatten sich schon während der Schulzeit angefreundet.
    »Na ja, wie’s halt so läuft«, sagte Sigurður Óli. »Und bei dir, hast du bei bei dem Bauboom hier und all den Kraftwerken, die gebaut werden, nicht irre viel zu tun?«
    »Wir können uns vor Arbeit nicht retten«, sagte Patrekur, der für seine Verhältnisse ungewöhnlich ernst klang. »Übrigens wollte ich dich fragen, ob wir uns vielleicht mal treffen könnten, da ist etwas, worüber ich mit dir reden möchte.«
    »Na klar. Muss ich Handschellen mitbringen?«
    Patrekur verzog keine Miene. »Ich ruf dich am Montag an, wenn du nichts dagegen hast«, sagte er und machte Anstalten, sich zu entfernen.
    »Tu das«, sagte Sigurður Óli und nickte Patrekurs Frau zu. Sie hieß Súsanna und war mit ihm zu der Feier gekommen, obwohl die meisten normalerweise nicht mit Partner erschienen. Sie lächelte ihm zu. Sigurður Óli hatte sie immer gemocht, seiner Meinung nach war sein Freund ein Glückspilz.
    »Du bist immer noch Bulle?«, fragte Ingólfur, der mit einem Bier in der Hand auf Sigurður Óli zukam. Er war einer von den beiden Pfarrern in der Klasse. Er stammte sowohl väterlicher-als auch mütterlicherseits von lauter Theologen ab und hatte sich nie etwas anderes vorstellen können, als in Gottes Dienste zu treten. Aber er war frei von Scheinheiligkeit und Pathos, war weder den Frauen noch dem Alkohol abgeneigt und bereits zum zweiten Mal verheiratet. Er machte sich gern einen Spaß daraus, einen Streit mit Elmar, dem zweiten Pfarrer in der Klasse, vom Zaun zu brechen. Elmar war aus völlig anderem Holz geschnitzt, er war überaus religiös und asketisch und glaubte felsenfest an fast alles, was in der Bibel stand. Alle Veränderungen waren ihm ein Dorn im Auge, vor allem, wenn es um die Homosexuellen ging, die es gerade darauf anlegten, die tief verwurzelten Kirchentraditionen in Island auf den Kopf zu stellen. Ingólfur dagegen war es vollkommen gleichgültig, was für Pärchen aus der menschlichen Flora sich an ihn wandten. Er hielt sich einzig und allein an die Regel, die ihm sein Vater mit auf den Weg gegeben hatte, dass alle Menschen vor Gott gleich sind. Er liebte es, Elmar aufzuziehen, und er fragte ihn regelmäßig, ob er nicht eine Sekte gründen wolle, die Elmariten.
    »Und du bist immer noch Pfaffe?«, fragte Sigurður Óli im Gegenzug.
    »Wir sind wohl beide unersetzlich«, entgegnete Ingólfur grinsend.
    Goofy gesellte sich zu ihnen und schlug Sigurður Óli jovial auf die Schulter.
    »Und was sagt unser Bulle?«, fragte er laut und vernehmlich, der frischgebackene Abteilungsleiter.
    »Alles bestens«, sagte Sigurður Óli.
    »Hast du es nie bereut, dass du das Jurastudium nicht zu Ende gebracht hast?«, fragte Goofy herablassend. Er hatte mit den Jahren reichlich Speck angesetzt, und die Fliege, die ihm früher einmal gut gestanden hatte, verschwand jetzt beinahe unter seinem enormen Doppelkinn.
    »Kann ich eigentlich nicht sagen«, entgegnete Sigurður Óli, obwohl er tatsächlich manchmal darüber nachdachte, den Polizeidienst zu quittieren, das Jurastudium fortzusetzen und irgendetwas Sinnvolles in Angriff zu nehmen. Goofy gegenüber hätte er das aber niemals zugegeben, denn er lieferte ihm ein wichtiges Argument bei solchen Überlegungen: Wenn solche
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