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Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Titel: Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
Autoren: Federico Baccomo
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alles?«
    »Alles eben. Warum eine wie du eingewilligt hat, mit mir auszugehen, zum Beispiel.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Aber ja doch. Die Ricchi e Poveri , die Pizza bei Aldo, die japanischen Jongleure. Das muss man sich mal vorstellen. Eine wie du, schön, brillant, karrierebewusst, die City … Und dann der gestrandete Wal. Weißt du, dass Giuseppe mich mal einen gestrandeten Wal genannt hat? Ein schönes Bild. Treffend.«
    »Was willst du mir damit unterstellen?« Emilys Stimme wird lauter. »Dass ich mit dir ausgegangen bin, um diesen Vertrag unter Dach und Fach zu bringen? Du willst doch wohl nicht sagen, dass du das wirklich glaubst?«
    »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.«
    Emily kommt näher. Ich spüre ihren Atem. Ihre Stimme ist schwach.
    »Andrea. Du machst aus einer Mücke einen Elefanten. Okay, es tut mir leid, dass ich dich belogen habe, aber hast du eine Vorstellung davon, wie oft man es mit diesen Cardellinis zu tun bekommt? Ich sag’s dir: oft. Man lernt, damit umzugehen. Ich hätte ihn zum Teufel schicken können, hätte ihm sagen können, dass ich mit einem wie ihm nicht ausgehe und dass er sich lieber vor einen Zug werfen soll, aber was hätte das gebracht? Dann hätte ich ihn nicht nur beruflich, sondern auch noch privat gegen mich.«
    »Du stellst es so hin, als wäre das alles vollkommen normal.«
    »Weißt du was, Andrea?«, explodiert sie. »Nicht alle sind wie du. Jeder kämpft auf seine Weise. Willst du die Unschuld vom Lande spielen? Bitte sehr. Aber versuch nicht, mich schlecht zu machen wegen dieses Männchens, das glaubt, ihm stehe die Welt offen. Wenn du das vorhast, sage ich dir klipp und klar, dass du nicht die leiseste Ahnung hast …«
    »Woher soll ich wissen, dass du mit mir nicht dasselbe gemacht hast?«
    »Andrea. Ich bin mit dir ins Bett gegangen.«
    »Ich wiederhole: Woher soll ich wissen, dass du es mit mir ernst meinst?«
    Emily senkt den Blick. Plötzlich scheint sie furchtbar müde zu sein.
    »Du musst mir vertrauen.«
    »Vertrauen? Emily, ich bin Anwalt, verdammt. Mein Leben gründet darin, niemandem zu vertrauen.«
    Emily schaut wieder auf und bohrt ihre Augen in die meinen. Die stolze Miene ist unnachgiebig. Ein leichtes Flackern in den Pupillen. Die Hände sind geschlossen, der Kiefer angespannt.
    »Andrea, hör zu. Ich mache mich nicht über dich lustig. Ich spiele nicht mit dir. Und wenn ich in Mailand mit dir ausgegangen bin, dann nicht, weil ich mir dich vom Leibe halten oder sonst irgendeinen Vorteil daraus ziehen wollte. Mit dir …«
    Emily unterbricht sich, und diesmal bin ich mir sicher, dass es geklopft hat.
    Ich stehe auf und öffne.
    Eine kleine Frau steht hinter einem Wagen, der mit Bettbezügen bepackt ist. Sie lächelt und sagt nichts. Ich bitte sie mit einer Geste herein.
    »Lass uns gehen«, sage ich zu Emily. »Der Putzdienst.«
    Emily schüttelt den Kopf, ohne mich aus den Augen zu lassen.
    Dann steht sie auf, geht an mir vorbei und verschwindet, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Ich lege eine Hand an die Stirn, schließe die Augen und schaffe es, ein paar Sekunden lang nichts zu sehen.
    Im Flur sind Schreie zu hören.
    Cardellini lehnt an der Wand und presst einen Eisbeutel an die Wange.
    »Da ist er ja«, schreit er und gestikuliert in meine Richtung. »Mörder. Wenn du aber meinst, dass du mich auf diese Weise aufhalten kannst, machst du einen großen Fehler. Du wirst schon sehen, aus was für einem Stoff ein Cardellini gemacht ist.«
    Ich deute einen trägen Sprung an, als wollte ich mich auf ihn stürzen, und Cardellini rettet sich auf die Sicherheitstreppe.

45
    Das Signal, auf das Rashid gewartet hatte, um endlich loszuwüten, war gegeben worden. Es hatte in dem gelauert, was wir für den soundsovielten mit formalen Spitzfindigkeiten ausgefüllten Verhandlungsvormittag gehalten hatten.
    Nach einem einsamen Abendessen auf meinem Zimmer und einer Nacht, in der sich die Erinnerungen überschlagen hatten – ich, der ich Cardellini eine reinhaue, ich, der ich fotografiert werde, ich, der ich Hände schüttle, ich, der ich verschwinde –, hatte ich das Frühstück ausfallen lassen und mich direkt in den Sitzungssaal begeben. Ich setzte mich in die Mitte des Tisches, von wo aus ich die Tür im Blick hatte, und beobachtete, wie sich der Raum langsam füllte: eine Prozession von Personen, die mich sahen, wegschauten, sich räusperten und dann so weit weg wie möglich Platz nahmen. Es gelang mir, stolz, unbekümmert und
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