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Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Titel: Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
Autoren: Federico Baccomo
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zur Unterdrückung der Schwächeren begabt war, hätte sich mit stolz geschwellter Brust erhoben und wäre, ohne sich noch einmal umzudrehen, zum Hausmeister gegangen, um sich schmutzige Witze erzählen zu lassen und dem Mann, während er Stufe um Stufe die Treppe wischte, den Wassereimer hinterherzutragen. Ich war aber nicht Ivan Cacciapuoti. Ich schämte mich dafür, auf dem Flur zu sitzen, hätte mich aber auch niemals von dort entfernt. Ich war der Typ, der sich an Regeln hielt. Ein paar endlose Minuten lang saß ich auf dem Flur, dann klopfte ich an die Tür.
    »Frau Lehrerin«, fragte ich. »Darf ich bitte wieder hereinkommen?«
    »Setz dich auf deinen Platz. Setz dich.«
    Was das Leben für Ivan Cacciapuoti bereitgehalten hat, weiß ich nicht. Ich jedenfalls bin Wirtschaftsanwalt geworden, und seither habe ich für mein Empfinden nie aufgehört zu fragen, ob ich wieder hereinkommen darf.
    Vierter Sitzungstag? Fünfter Sitzungstag? Vielleicht sogar schon der sechste. Auf den Gesichtern um den Tisch herum spiegelt sich diese Mischung aus Resignation und Vertrautheit, die für ausufernde Verhandlungen so typisch ist. Wir sind Geiseln eines gemeinsamen Schicksals, und die Regeln, die am Anfang so klar umrissen waren, verlieren immer stärker an Konturen. Sicher ist jetzt nur noch, dass es eine Delegation von Zeus Investments gibt und eine von Meyon & Tolsen, ob man aber zu der einen oder zu der anderen gehört, macht keinen großen Unterschied mehr. Die Verbissenheit der Gegner ist einer unproduktiven Nachsichtigkeit gewichen, und Sätze wie: Dieser Punkt steht für uns keinesfalls zur Debatte , wurden längst durch solche ersetzt wie: Wir verstehen euch ja, aber versucht bitte auch, uns zu verstehen .
    Rashid scheint sich keine Sorgen zu machen. Geduldig verfolgt er den Verlauf der Sitzungen und sieht aus wie ein Hund, der auf ein Kommando wartet.
    Ich ziehe in meinem Heft einen Kreis um das Datum von heute.
    »Und warum ist das wichtig?«, erläutert Cardellini in Bezug auf eine Diskussion, die mir entgangen ist. »Es ist wichtig, weil es sich nicht um eine einfache Anlage handelt. Wir reden von einem informal agreement , meine Herren. Hier sind Entscheidungsprozesse im Verwaltungsrat betroffen.« Cardellini erhitzt sich, fuchtelt herum, schlägt sich an die Brust. »Es geht um unseren Kodex, unsere Anstandsregeln. Es geht, wenn ihr mir diese Kühnheit erlaubt, um das Kamasutra von Joint-Venture-Partnern.«
    Er lacht unkontrolliert los, als würde eine Maschine ins Stottern geraten, dann sucht er Giuseppes Zustimmung, der nur eine genervte Geste macht.
    »Aha«, sagt Boraletti. »Sie nennen das also Kamasutra. Jetzt wird mir einiges klar. Von welcher Seite auch immer man die Geschichte betrachtet, man hat stets das Gefühl, dass ihr uns in den Arsch fick…«
    »Franco«, unterbricht ihn Emily. Dann wendet sie sich an Cardellini, und ihr Gesicht verfinstert sich.
    »Wir sollten versuchen, weniger Leidenschaft und mehr Professionalität an den Tag zu legen. Wäre das möglich?«
    »Emily, wir verstehen euch ja, aber versucht bitte auch, uns zu verstehen.«
    Und weiter geht’s mit den Scharmützeln. Giuseppe trägt einen Vorschlag vor. Boraletti diskutiert mit Emily, dann schütteln beide den Kopf. Man wird sich nicht einig. Ich male den Kreis um das Datum herum bunt aus.
    Emily hat mich geküsst.
    Als ich den Sitzungssaal betreten wollte, hat sie mich zu einem der zurechtgestutzten Büsche im Flur gezogen, hat sich auf die Zehenspitzen gestellt und ihre Lippen auf die meinen gedrückt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Die Vorgeschichte sehe ich klar vor mir: Emily, das Dreifürzwei-Project, meine Ziele, alles wurde mir genommen, alles. Jetzt muss ich die Konsequenzen ziehen. Und ich weiß nicht, was ich tun soll. Wenn es doch nur einen Giuseppe gäbe, einen Donato, die mir sagen würden, was die Anordnungen, die Vorgaben, die Beschlüsse von oben sind, the best way to proceed .
    »Emily, Emily, Emily«, säuselt Cardellini. »Von dir würde ich mir ein bisschen mehr Vernunft erwarten.«
    »Die Vernunft würde verlangen …«, entgegnet Emily trocken, »… dass dieser Absatz gestrichen wird. Ohne Wenn und Aber.«
    Cardellini hebt ergeben die Hände und tut so, als würde es ihn große Anstrengung kosten.
    »Okay. Ihr wollt ihn streichen?«, fragt er und klatscht in die erhobenen Hände. »Also streichen wir ihn. Unter der Bedingung, dass …«
    Man sagt, dass Betrunkene das Gefühl haben, sich von außen zu
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