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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen
Autoren: Manfred Krug
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Waschcord und mit der Perlontüte in der Hand, sieht er aus wie einer, der eine Fuhre Kies abgeladen hat und dem sie für die Rücktour ein Frühstück in die Tüte gesteckt haben. Sie drehen sich noch einmal um, winken. Schädlichs Brille macht ihm kleine Ringelaugen.
     
    18. Mai 1977, Mittwoch
    Mittags um zwei sitzen wir in der Vorführung der Hauptverwaltung Film, die dem Kulturministerium angeschlossen ist. Es ist ein kleiner, muffiger, mit Nachkriegssesseln vollgerümpelter Raum, in dem die »hochgestellten Persönlichkeiten« schon manchen Film haben sterben lassen. Eine eigenartige Mischung Publikum findet sich ein. Ich kenne Wolfgang Kohlhase, Stefan und Inge Heym, Jutta Voigt, den Autor, den Regisseur und Jutta Hoffmann. Der Film ist nicht schlecht. Die Hoffmann ist reich an Nuancen in ihrem Spiel, ich halte ihr tapfer stand. Sie hat mal etwas anderes zu tun, als ihren Partner an die Wand zu spielen, und das bekommt ihr selbst am besten. Es war Juttas Verdienst, nötigenfalls mit Gewalt, Tiefgang in die Geschichte zu bringen, die von Jurek, ob absichtlich oder weil ihm die letzten Ehegeheimnisse nie ganz aufgegangen sind, eher als intelligentes Amüsement geschrieben war. Und doch ist die Geschichte ein Kunststück. Das Kunststück liegt darin, daß »Das Versteck« der unpolitischste Film ist, der je in der DDR gedreht wurde, und keiner hat’s gemerkt … Da sind einfach zwei Menschen, die es noch einmal miteinander versuchen wollen, und es geht nicht. Und das tut dem Zuschauer aus tiefster Seele leid. Fischers Musik ist schön. Auch keine DDR-Musik, hübsch Zusammengeklautes von irgendwo aus der Welt. Mit Fischer waren es fünf Listenleute, die den Film gemacht haben, und nichts ist zu bemerken von all dem Herzeleid und dem Schiß, den wir beim Drehen in den Hosen hatten. Was die Schauspieler machen, hat Qualität, ist feines Kammerspiel, jede winzige Reaktion hat Witz, sie haben Pointen eingearbeitet, die nicht geschrieben werden können, die sich erst ergeben, auch darin liegt ihre Kunst, sie ranken sich aneinander hoch, kommen in Spielfreude, und doch ist nichts zuviel, keine Grimassen, auch nicht bei Alfred Müller, kein Haschen nach Effekten, Bildausschnitt und Auswahl der mimischen Mittel stimmen überein. Nicht einen Augenblick drückt der Hintern im Kinosessel, man schaut hin und bleibt bis zum Schluß bei der Geschichte, deren äußere Spannung nicht gerade atemberaubend ist. Die Kamera macht nicht auf sich aufmerksam, womit sie dem Genre am besten dient. Der Regisseur mußte sich diesmal ein bißchen nach der Decke von Jutta Hoffmann strecken, und das war für ihn gut und für den Film auch.
    Alle sind beeindruckt, die Beteiligten können sich deshalb mit Eigenlob zurückhalten und so tun, als sei bei ihrer Mitwirkung kein schlechteres Ergebnis zu erwarten gewesen. Dieser Film und diese Freunde, das ist die DDR, die zu verlassen mich hart ankommt. In der Sonne zwinkernd stehen wir auf der Straße. Keiner will gehen. Wir beschließen, irgendwo um die Ecke im »Lindenhotel«, oder im »International« oder im »Espresso« eine Tasse Kaffee zu trinken. Aber der Gewerkschaftskongreß tobt in Berlin, überall sind die Tische eingedeckt und mit großen Reserviert-Schildern geschmückt, und die Kellner müssen auf die Gewerkschaftsgäste warten, und nichts tun sie lieber als das.
    Nach zwei Stunden geben wir auf und zerstreuen uns in die Winde dieser halben grauen Stadt.
     
    19. Mai 1977, Donnerstag
    Der Regisseur Olav Koziger ruft an: »Tag, Manfred, wie sieht es in nächster Zeit mit deiner Zeit aus? Ich hätte da was, ich falle mal gleich mit der Tür …« Ich unterbreche ihn. Und sage, es sehe mit meiner Zeit schlecht aus, weil ich den Ausreiseantrag gestellt hätte. Dann lege ich auf, dabei hasse ich Leute, die einfach auflegen. Olav Koziger war der Regisseur des letzten Fernsehwerks von Helmut Sakowski, einem bekannten Staatsschreiber. »Daniel Druskat« hieß der Fünfteiler, dessen Titelrolle, ein parteitreuer LPG-Vorsitzender ohne Erfolg, von Hilmar Thate gespielt wurde. Ich gab den Bösen, einen mit ungesetzlichen aber den allgemein üblichen Methoden reüssierenden Aufsteiger. Das ganze Jahr 1975 ist draufgegangen für die paar Filmchen. Denn Koziger war der trödeligste Regisseur, den ich je hatte. Das Beste an ihm war noch sein Kichern, mit dem er versuchte, die Spiellaune der Schauspieler wieder anzukurbeln, nachdem er sie täglich aufs neue in den Keller geschlampt hatte.
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