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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen
Autoren: Manfred Krug
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daß sie jetzt noch nicht unterzeichnen könne, sie habe morgen eine Besprechung in der Kulturkommission, und da müsse sie unvorbelastet hingehen, um unsere Sache desto wirkungsvoller vertreten zu können. Wie schrecklich doch alles sei, jetzt entscheide sich unser aller berufliches Fortkommen für die nächsten zehn Jahre. Sie sei dem Buchgestalter Lothar Reher nachträglich so dankbar dafür, daß er ihr geraten habe, einige polemi sche Verse gegen Biermann aus ihrem demnächst erscheinenden Gedichtband herauszunehmen. Gott sei Dank sei sie ihm darin gefolgt. Alle würden nach Erscheinen des Bandes gesagt haben, da hätte die alte Wetterfahne wieder den richtigen Wind erwischt. Wie sie uns mit der Frage verblüfft hat, ob uns die Situation nicht auch an ‘33 erinnere. Und wie sie uns beim Abschied autorisiert hat, aller Welt zu sagen, ihre Empörung über die lange Liste von ausgebürgerten Dichtern aus Nazi-Deutschland halte noch immer an, deshalb sei auch sie gegen die Biermann-Ausbürgerung, sie müsse eine Nacht drüber schlafen und riefe morgen an.
    Sie hat nicht angerufen. Sie hat falsche Tränen vergossen und geheuchelt, und wenn es darum ging, Kollegen aus dem Verband und Genossen aus der Partei auszuschließen, hat sie immer gewußt, wann sie die Hand zu heben hatte. Schlesinger hat es richtig gemacht, er hat eine Mappe, voll von Zeitungsausschnitten. In seiner Sammlung finde ich Raritäten, Aussprüche eines Genossen Ziegengeist, Chef der Abteilung Literaturgeschichte bei der Akademie: »Warum wurde die Petition der Schriftsteller nicht veröffentlicht? Die Partei wollte keinen oppositionellen Block zusammenschweißen, sondern ihn spalten und dividieren. Wir hätten ja alle abstempeln müssen als Teilnehmer einer konterrevolutionären Aktion. Wie sollten wir diese Schauspieler und Autoren danach noch auftreten lassen können?«
    Die Partei hätte den Block nicht inniger zusammenschweißen können als durch die Nichtveröffentlichung. Gerade weil die Künstler, die sonst gern vereinzelt vorkommen, unüblich eng aneinandergerückt waren, mußte die Spaltung so gründlich vorgenommen werden, und gerade deshalb war sie so wenig erfolgreich. Die taktische Überlegung wird wohl eine andere gewesen sein: die Teilnahme an einer konterrevolutionären Aktion konnte nur durch die Nichtveröffentlichung unterstellt werden. Was für Kinkerlitzchen in zwei antagonistischen Welten, die durch die Medien beliebig ineinander eindringen. Es hat in der DDR keine Veröffentlichung gegeben, Genosse Ziegengeist, und dennoch hat man den Schauspieler Krug seit sechs Monaten nicht wieder auftreten lassen. Überhaupt stört mich, daß der Mann »wir« sagt. Es macht mich schon lange nervös, daß Ziegengeist und Konsorten immer mal wieder darüber befinden, wen man noch auftreten lassen kann und wen nicht.
    Ziegengeist: »Die Briefaktion hat die unsicheren Kantonisten sichtbar gemacht.« Das heißt, die dem Lamberz ihre Zerknirschung nicht gezeigt, ihm keinen Widerruf geschickt haben, das sind die unsicheren Kantonisten. Von denen ist die Literaturgeschichte voll. Das macht den Posten von Ziegengeist so unverzichtbar. Und noch ein Satz des Denkers: »Eines ist uns klar: Mit Parteistrafen ist die Sache nicht aus der Welt geschafft. Ein langer Atem über Jahre hinweg ist nötig.« Damit wird der lange Atem der Erziehung gemeint sein. Aber wie lang denn noch? Die Partei hat uns ein ganzes Leben lang erzogen und muß nun sehen, daß wir mißraten sind. Immer mehr Mißratene kommen zum Vorschein.
    Deshalb gibt sie sich immer leichter mit Lippenbekenntnissen und Sprüchen zufrieden. Auf eine flotte Herzensergießung im NEUEN DEUTSCHLAND kannst du eine ganze Karriere gründen. Was tun die Leute in der sogenannten mittleren Ebene anderes als schönreden? Was kann der Genosse Schäfer von der Schallplatte? Nichts. Er trägt nicht mal die Verantwortung dafür, daß er seinen Plan nicht erfüllt, so wenig Papier bekommt er, um Plattencover zu machen. Was kann der Falk bei der Künstleragentur? Was kann der Cerny beim Komitee für Unterhaltungs kunst? Alle diese Läden funktionierten genau so schlecht oder gut, wenn sie von anderen Drückebergern geleitet würden. Alle diese Genossen verplempern ihre Kräfte, um Unentbehrlichkeit vorzutäuschen. Im Kapitalismus wären sie nicht einzusetzen. Und denen soll ich wieder in den Arsch kriechen?
    Und noch was Gemeineres könnte mit dem langen Atem gemeint sein, daß man nämlich die unsicheren
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