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ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)

ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)

Titel: ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
Autoren: Susanne Storck
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ich glaube, das war Zorro oder Buffalo Bill.
    In jungen Jahren war ich dick. Irgendwie quadratisch dick. Oder eher rundlich dick. Praktisch innerlich und äußerlich ohne Ecken und Kanten. „Voll fett“, hätte Anna gesagt. Und Katrin hätte genickt: „Genau!“ Dabei war ich immer zufrieden mit meinen langsamen Bewegungsabläufen. Und der Versorgung durch meine Mutter. Ein paar Brötchen zum Frühstück mit Cornflakes als Nachtisch, kräftige Stullen für die Pause, ein gutes Mittagessen nach der Schule, nachmittags manchmal ein wenig Kuchen, vielleicht mit Sahne, und ein leckeres Abendessen mit Vorsuppe zu den Schnittchen reichten mir vollkommen aus. Eltern und Lehrer lobten meine Genügsamkeit in allen Dingen, ich war kein Streber, sondern immer mit meinem Notendurchschnitt zufrieden, solange er knapp besser als zwei war und ich mich dafür nicht anstrengen musste.
    Ich hätte nie vermutet, dass ich jemals intensiv Sport treiben würde. Obwohl ich alle Veranlagungen zum Sportler, vielleicht sogar zum Superläufer, hätte haben müssen. Mein Vater war Industriearbeiter, ständig gefordert von Früh-, Mittag- und Nachtschicht, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, flink wie ein junger Windhund. Und zu Hause immer müde, wegen der Regeneration. Obwohl er das Wort nicht kannte, nutzte er alle Möglichkeiten aus, seinem Körper die Ruhe zu verschaffen, die er brauchte. Beim Schlafen vor der Nachtschicht am Nachmittag, am Morgen vor der Mittagschicht, pünktlich vor der Frühschicht ganz früh abends.
    Die Mutter Hausfrau, ständig auf Trab wegen der Versorgung des Kindes und des Faceliftings einer zu kleinen und zu engen Etagenwohnung, trotzdem immer ausgeruht und motiviert, das tägliche Fernsehprogramm nicht nur auswendig zu lernen, sondern das Erlernte auch in die Tat umzusetzen und auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ideale Voraussetzungen also für perfekte Läufer-Gene. Wegen der Ruhe nach der Belastung und der Belastung nach der Ruhe. Und umgekehrt.
    Zu einem Höhepunkt in meiner ersten Karriere als Sportler kam es eines Frühlingsabends, als meine Mutter zu meinem sofadösenden Vater sagte: „Karl, der Kleine ist zu dick.“ „Mmh …“, kam die Antwort. Vater schlief also einmal nicht. Noch nicht. „Wir müssen etwas tun!“ „Mmh …“ „Ka-arl, hast Du eine Idee?“ „Laufen lassen.“
    Hätte meine Mutter meinen Vater ein wenig besser gekannt, was nach zwölf Ehejahren und der gemeinsamen Erziehung eines mittlerweile elfjährigen Buben zu erwarten gewesen wäre, hätte sie die Bedeutung der Halbschlaf-Bemerkung erkannt: Laufen lassen – laissez faire, abwarten, wird schon werden.
    So verstand meine Mutter ihren Mann aber mehr als wörtlich und ersann ausnahmsweise selbstständig eine Lösung für das Problem: Laufen lassen – Sport treiben.
    Meinem Vater als Fußballfan im Ruhrgebiet war das nur recht. Angeregt von seinen eindringlichen Sportweisheiten („Im Spiel ist vor dem Ende vom Spiel“ und „Abseits ist, wenn der Ball unterwegs ist“) entwickelte ich nach der Anmeldung im örtlichen Fußballverein meine sportlichen Fähigkeiten. Umringt von zwanzig gleichaltrigen Stoppelhopsern verteidigte ich mit aller verfügbaren Körperfülle das runde Leder unter meinem speckigen Bauch, wenn die Masse den Ball jagte und mich als Fels in der Brandung einfach umwarf, wenn ich einmal zufällig in der Nähe des Geschehens stand. Ansonsten beschränkte ich mich darauf, die Hetze „Zwanzig jagen einen Ball“ aus größerer Entfernung zu beobachten und bei bedrohlicher Annäherung des Spielgeräts an meine Wenigkeit die Schnürbänder meines Fußballstiefels einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen.

    Nach nur vier Wochen war meine Karriere als zukünftiger Sportstar beendet. Zuvor hätte ich um ein Haar noch an einem Spiel teilgenommen, als ich nämlich als sechster Einwechselspieler auf der Reservebank saß und trotz unserer deutlichen 7:0-Führung nicht eingewechselt wurde. Meine Mutter las auf der eilig von der Nachbarin ausgeliehenen Körperwaage eine Gewichtsreduzierung bei mir von unglaublichen 150 Gramm ab – von Vater hochgerechnet und interpoliert innerhalb der groben 500-Gramm-Einteilung – und stellte das Experiment daraufhin ein.
    Vater und ich verschwiegen ihr in männlicher Übereinstimmung, dass unser Heimweg vom gemeinsamen Trainingsgang immer an der örtlichen Genussmeile vorbeigeführt hatte, deren verlockendem Angebot von frisch gezapftem Urpils (für den einen) und
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