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Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Titel: Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
Autoren: T Rammstedt
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denken an die Bank, an den Hund, an das Boot. Sie denken an den
Bus, an die Tankstelle, den Škoda. An die Müdigkeit denken Sie, den Durst, den
Schmerz, an unsere ganze gemeinsame Zeit und daran, wie Sie jede Minute davon
gehasst haben, und Sie schubsen mich zur Seite, Sie sagen: »So wird das ja nie
was«, und Sie fangen an zu graben.
    Ihr
    Tilman Rammstedt
    Wie lange er eigentlich bleiben wolle, fragte ich meinen
ehemaligen Bankberater, nachdem ich gesehen hatte, dass er seinen Namen aufs
Klingelschild geschrieben hatte. Er machte gerade den Abwasch. »Bis es wieder
geht«, sagte er. Ich nickte und nahm mir ein Geschirrhandtuch. Er reichte mir
eine Tasse. Ich trocknete sie ab.

Sehr geehrter Herr Willis,
    mit der Hand Ihres gesunden Arms wühlen Sie so entschlossen
in der Erde, als hätten Sie mit ihr noch eine Rechnung offen. Da ist ein
Kitzeln ganz hinten an Ihrem Gaumen. Schon immer hat es da gekitzelt, wenn Sie
irgendetwas Kaltes und Feuchtes berührt haben, schon immer haben Sie die
gesamte Natur schmutzig gefunden, Sand, Rinde, Fell, Nebel, alles schmutzig,
alles aufdringlich, auch wenn Sie das nie zugeben wollten. Die Erde unter Ihrer
Hand entzieht sich, presst sich zusammen, und umso entschlossener wühlen Sie
die Finger hinein, ergreifen Krumen, Brocken, alles, was sich löst, und
schaufeln es an die Oberfläche. Es macht Ihnen keinen Spaß, ganz und gar nicht,
und dennoch graben Sie weiter, immer weiter, weil das einfacher ist, als damit
aufzuhören.
    Sie fluchen halblaut vor sich hin. Sie verfluchen mich, Sie
verfluchen sich selbst, Sie verfluchen meinen Bankberater. Sie verfluchen Ihren
schmerzenden Oberschenkel, Sie verfluchen die »verdammte Dreckserde«, Sie
verfluchen Regenwürmer und Kieselsteine und Fingernägel und dass einem alles,
alles, alles, alles immer so beschissen bekannt vorkomme, Sie verfluchen das
»verkackte Älterwerden«, die »verfickte Sehnsucht«, die »schwanzlutschende
Melancholie«. Sie graben und fluchen und achten auf nichts anderes. Sie sehen
nicht, wie ich Sie erst ungläubig und dann stolz anschaue, Sie sehen nicht, wie
ich mir lächelnd den Schweiß von der Stirn wische. Sie hören nicht, wie ich
»Danke, Bruce« sage, ich sage es sehr leise, aber vielleicht hören Sie es doch
und denken, dass Sie es sind, der das sagt, dass Sie sich bei sich selbst
bedanken. Sie hätten wirklich allen Grund dazu. »Bitte, Bruce«, flüstern Sie,
oder zumindest einer von uns beiden.
    Ihr
    Tilman Rammstedt
    Abends sahen mein ehemaliger Bankberater und ich meistens
noch ein wenig fern. Ich saß dabei auf dem Sofa, mein ehemaliger Bankberater
blieb die ganze Zeit im Türrahmen stehen, als sei er eigentlich gerade auf
dem Weg irgendwohin, was er aber niemals war.
    Am liebsten mochte er Krimiserien, bei denen er mich allerdings
zehn Minuten vor dem Ende zum Umschalten drängte. Er wolle nicht wissen, wer
der Täter sei, sagte er. Das gehe ihn schließlich nichts an.
    Danach suchten wir meist lange nach einem Dokumentarfilm über
einen blinden Uhrmacher, den er angeblich vor Jahren einmal gesehen hatte und
der sehr gut gewesen sei, und nachdem wir ihn nicht fanden, schalteten wir den
Fernseher aus. »Vielleicht morgen«, sagte ich dann, und mein ehemaliger Bankberater
sagte: »Ja, vielleicht.«

Sehr geehrter Herr Willis,
    darf ich Ihnen etwas erzählen, während Sie graben? Ich
habe Ihnen vorhin an der Bushaltestelle nicht die ganze Wahrheit gesagt. Bevor
ich das Telefon in den Gully warf, habe ich nämlich doch kurz gezögert. Ich
habe mich zu Ihnen umgedreht, Sie lehnten erschöpft am Haltestellenschild und schauten in die andere
Richtung. Und dann habe ich noch einmal die Wahlwiederholung gedrückt, es noch einmal fünf Mal klingeln lassen,
noch einmal Ihre verzerrte Stimme und den Piepton gehört. Und diesmal
habe ich eine Nachricht für Sie hinterlassen. Ich habe »Danke, Bruce« gesagt,
in genau dem gleichen Ton wie eben. Ich habe gesagt, wie froh ich sei, das
alles mit Ihnen zu erleben. Ich habe gesagt, dass ich schon gar nicht mehr genau
wisse, was ich mir von dem glücklichen Ende versprechen würde. Ich habe
gefragt, wie ein Ende überhaupt glücklich sein könne, wenn wir uns, sobald es
erreicht sei, verabschieden müssten. »Ich weiß, das ist albern«, habe ich
gesagt, und ich wisse auch, dass Sie nach Hause gehörten. Und dennoch kämen mir
die verbleibenden Stunden viel zu kurz vor, die paar Seiten bis zum Ende des Romans.
Von mir aus könnten es ruhig tausend Stunden sein,
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