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Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Titel: Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
Autoren: T Rammstedt
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irgendwelchen Befreiungsaktionen verbunden ist, die mit dem Graben eines Tunnels verbunden ist,
schon gar keine, bei der man sich immerzu beeilen soll. Sie haben sich
genug beeilt. Mit dem Beeilen sind Sie ein für alle Mal durch. Sie wollen nach
Hause. Sie wollen in Ihre Badewanne steigen, die Sie erst ein einziges Mal
benutzt haben, vor über vier Jahren. Sie wollen sich einen großen Drink
einschenken, das Glas betrachten und dann noch einmal einen ordentlichen
Schluck nachgießen. Sie wollen morgen als Erstes zu Ihrem Arzt, damit er sich
Ihre Schusswunde ansieht. »Das wird schon wieder«, wird er sagen und Ihnen auf die Schulter klopfen, und Sie
werden wissen, dass er nur die Wunde meint, und trotzdem hoffen, dass es auf
alles andere auch zutrifft. Sie wollen nach dem Arztbesuch mit Ihrem Agenten
zu Mittag essen und ihm sachlich
mitteilen, dass Sie ab jetzt nur noch vielschichtige Rollen annehmen, am
liebsten nur noch Kurzfilme, am liebsten nur noch schwarz-weiß. Am Nachmittag
werden Sie Ihre Mails aus den letzten Tagen beantworten, die Nummern auf Ihrer
Mailbox zurückrufen. Sie werden höflich und bestimmt sein, Sie werden viel
»Nein« sagen und manchmal »Mal sehen«, Sie werden sagen »Ich muss jetzt Schluss
machen« und sich danach irgendetwas Leichtes zum Abendessen bestellen,
vielleicht kochen Sie auch. Vor ein paar Jahren haben Sie doch mal eine Zeit
lang sehr gern gekocht, vietnamesisch, darauf kann man aufbauen. Sie werden
noch einen kleinen Spaziergang machen, nur einmal die Straße runter und wieder
zurück, und dann früh schlafen gehen. Sie werden ab jetzt immer früh schlafen
gehen. Sie werden ab jetzt immer früh aufstehen, vor ein paar Jahren sind Sie
doch schon einmal früh aufgestanden, das hat Ihnen damals sehr gefallen.
    An all das denken Sie, während Sie mir beim Graben zusehen, während
Sie sich ein siebtes und ein achtes Mal vornehmen, jetzt aber wirklich zu
gehen. Mit jeder weiteren Minute, die Sie hier verbringen, fängt Ihr neues Leben später an, das wissen Sie. Und
vielleicht ist es schon die Gelassenheit dieses neuen Lebens, die Sie jetzt
denken lässt, dass es auf die paar Minuten wohl auch nicht mehr ankommt. Sie
nehmen es sich noch ein neuntes Mal vor und dann noch ein zehntes Mal, weil das
schließlich die rundere Zahl ist, und plötzlich fällt Ihnen auf, warum
Sie nicht gehen können. Ihnen fällt auf, während Sie mich verbissen einen
Tunnel graben sehen, in den bislang noch nicht einmal meine ganze Hand passt,
dass Sie neidisch auf mich sind. Sie wollen das erst selbst nicht glauben. Sie schütteln den Kopf, schieben es auf die
Müdigkeit. Das sei doch vollkommen lächerlich, denken Sie und nehmen sich ein
elftes Mal vor, jetzt endlich, endlich zu gehen. Aber das glauben Sie sich
schon nicht mehr.
    Ihr
    Tilman Rammstedt
    Mein ehemaliger Bankberater hatte einen unruhigen Schlaf.
Noch Stunden nachdem er seine Taschenlampe ausgeknipst hatte, hörte ich das
synthetische Rascheln seines Schlafsacks. Ich hörte, wie er aufstand, um ein
Glas Wasser zu trinken, ich hörte, wie er im Flur seine Rückenübungen machte,
ich hörte Buchseiten und gesummte Schlaflieder. Ich hörte, wie er noch einmal
aufstand, um sich seine heiße Milch zu kochen. Ich hörte Geschirr klappern, ich
hörte unterdrückte Flüche. Ich hörte, wie er sich noch einmal die Zähne putzte.
Ich hörte, wie er auf dem Rückweg ins Schlafzimmer gegen immer denselben Stuhl
stieß. Ich hörte, wie er noch so oft leise »Gute Nacht« sagte, bis ich
ihm das auch wünschte.

Sehr geehrter Herr Willis,
    natürlich ist es lächerlich. Warum sollten Sie auch neidisch
auf mich sein? Auf was denn, bitteschön? Darauf, dass ich eine Aufgabe gefunden
habe? Darauf, dass diese Aufgabe so vollkommen aussichtslos ist? Auf die unfähige
Hingabe, mit der ich dieser vollkommen aussichtslosen Aufgabe nachgehe? Das
kann doch um Himmels willen nicht Ihr Ernst sein.
    Sie betrachten meinen hochroten Kopf, Sie betrachten meine dreckigen
Hände, Sie betrachten meinen Gesichtsausdruck, der wahrscheinlich würdevoll
oder entschlossen oder zumindest selbstvergessen wirken soll, aber doch nur
beleidigt ist. Sie betrachten das alles mit einer Mischung aus Fremdscham und
leichtem Ekel. Ich bin Ihnen noch unangenehmer als in all den Tagen zuvor. Was zum
Teufel Sie hier noch verloren haben, denken Sie. Warum Sie bei alldem überhaupt
so lange mitgemacht haben, denken Sie. Was sich dieser Timlin Rumshead
überhaupt einbildet, denken Sie.
    Sie
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