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Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Titel: Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
Autoren: T Rammstedt
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sich irgendeiner Broschüre zu. Man könne ja niemanden zu seinem
Glück zwingen, sagte er. Schon aus rein rechtlichen Gründen, sagte er. Da habe
er sich erkundigt, sagte er.

Sehr geehrter Herr Willis,
    bitte antworten Sie mir nicht voreilig, wenn Ihre Antwort
trotz allem »Nein« lauten sollte. Bitte schütteln Sie nicht gleich den Kopf.
Sie sollten sich nicht glauben, wenn Sie den Kopf schütteln, das sind dann
keinesfalls Sie, das ist dann nur ihre derzeitige Verfassung, die mit dem Kopf schüttelt.
Die lehnt nämlich erst einmal alles ab, die lässt nichts an Sie heran, auch
wenn es vielleicht genau das ist, was Ihnen guttun würde.
    Und behaupten Sie auch bitte nicht, Sie hätten gerade keine Zeit.
Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Sie haben mehr Zeit, als Ihnen guttut,
und ich brauche auch gar nicht viel davon. Versprochen.
    Genau genommen brauche ich Sie nur für ein paar Seiten des Romans,
nur für eine Szene, eine einzige brenzlige Situation. Bei brenzligen
Situationen sind Sie nun einmal der Erste, der einem in den Sinn kommt, ganz
gleich, wie es Ihnen geht. Sie sollen in der Szene meinen Bankberater spielen.
Er selbst ist, wie sich leider herausgestellt hat, für brenzlige Situationen
nämlich völlig ungeeignet. Als er selbst kommt er da nie raus. Wenn er einfach
er selbst bleibt, nimmt die Geschichte kein glückliches Ende, und ich möchte
sehr gern, dass sie ein glückliches Ende nimmt.
    Und Sie wollen sicher nicht dafür verantwortlich sein, dass es zu
keinem glücklichen Ende kommt, Herr Willis. Für Sie ist das doch eine
Kleinigkeit, Sie sind schließlich jeder Situation gewachsen, und je brenzliger
eine Situation ist, desto gewachsener sind Sie ihr. Ich weiß nicht, ob Sie zum
Beispiel gut darin sind, eine Fristverlängerung für die Steuererklärung zu
beantragen, ich weiß nicht, ob Sie gut darin sind, eine Fristverlängerung für
ein klärendes Beziehungsgespräch zu beantragen. Aber ich weiß, dass Sie gut
darin sind, aus einem zum Beispiel explodierenden Bürogebäude zu entkommen. Und
auf genau diese Fähigkeiten kommt es jetzt an.
    Also, Herr Willis, helfen Sie mir? Helfen wir einander?
    Ich bitte Sie um eine ehrliche und rasche Antwort.
    Ihr
    Tilman Rammstedt
    PS: Der Arbeitstitel des Romans lautet übrigens »Die Abenteuer
meines Bankberaters«, und es wird bestimmt ein sehr guter Roman, wenn auch bis
jetzt unter anderem noch die Abenteuer fehlen. Von Abenteuern ist mein Bankberater
leider schwer zu überzeugen.
    »Ich begleite Sie noch ein Stück«, sagte mein ehemaliger
Bankberater manchmal nach einem Termin am späten Nachmittag. Meist brachte er
mich dann bis zu meiner Haustür und verabschiedete sich mit einem schüchternen
Winken. »Also dann«, sagte er. Wenn ich später durch die Gardinen des
Schlafzimmerfensters schaute, sah ich ihn immer noch da stehen. In der linken
Hand seine Aktentasche, in der rechten Hand nichts, reglos, als wollte
er mit dem Straßenbild verschmelzen, aber das Straßenbild nicht mit ihm.

Sehr geehrter Herr Willis,
    geben Sie es zu. Irgendetwas in Ihnen hat gezuckt, als Sie
gestern von der brenzligen Situation lasen. Ihr Rücken hat sich sofort
aufgerichtet, Ihre Bauchmuskeln haben sich angespannt, Ihre Augen weit
geöffnet. Sie haben Ihren Puls gehört, zum ersten Mal seit Wochen, seit
Monaten. Sehr vertraut hat sich das angefühlt, vertrauter, als Ihnen lieb war.
Sie haben sofort die Atemübungen gemacht, die Ihnen Ihr Therapeut empfohlen
hat. Sie haben ein Glas Wasser
getrunken, ohne durstig zu sein, und dann so lange auf den Kühlschrank
gestarrt, bis sich das vertraute Gefühl immer weiter zusammengezogen hat, bis
es nur noch ein winziger Punkt war, der in Ihrer Brust flimmerte und leicht mit
irgendetwas verwechselt werden konnte, mit Sodbrennen, mit einer fernen Erinnerung.
    Sie setzen sich noch einmal an Ihren Computer, um mir zu schreiben,
dass ich Ihnen bitte keine weiteren E-Mails mehr schicken solle, Sie hätten an
der Rolle kein Interesse, und ja, in Gottes Namen, es gehe Ihnen gut. Sie
schreiben das sehr schnell, aber kurz vor dem Abschicken zögern Sie dann doch
ein paar Sekunden zu lange. Sie mögen dieses Zögern nicht. Dass Sie früher nie
gezögert hätten, denken Sie und speichern die Mail erst einmal. Für später, nur
für alle Fälle. Sie wollen warten, bis der Punkt in Ihrer Brust aufgehört hat
zu flimmern. Aber da können Sie lange warten, Herr Willis, der wird damit so
schnell nicht aufhören, weil Sie eigentlich gar nicht
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