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Ab ins Bett!

Ab ins Bett!

Titel: Ab ins Bett!
Autoren: David Baddiel
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am Hammersmithkreisel in einem Stau stecken blieb, und nach zwanzig Minuten bestand kein Zweifel mehr, das war er, der totale Weltstau. Die Leute stiegen aus ihren Autos, spazierten herum, rauchten, streckten die Glieder und schwatzten und scherzten mit den anderen Fahrern. Gesichter, die normalerweise mit zugeknöpfter Verbittertheit durch hochgedrehte Scheiben auf den Verkehr ringsherum starren, feixten und lächelten, und für einen kurzen Moment hatte sich der Auto-versus-Auto-Haß in Luft aufgelöst. Es war wie Weihnachten 1914. Während ich jetzt in der Harrow Road feststecke, versuche ich, mir dieses positive, erfreuliche Bild eines Verkehrsstaus wieder vor Augen zu rufen, während ich zwischendurch schreie, »WICHSER!!! WICHSER!! AAAARRRSCH, VERWICHSTE WICHSEREI!!!«, und meine Stirn aufs Steuerrad knalle, bis ich merke, daß die Frau in dem Auto neben mir ihre Freundin anschubst und mit dem Finger auf mich zeigt.
    Um 8.51 komme ich schließlich an, elf Minuten nach meiner geplanten Verspätung, elf in Alice-losem Äther vergeudete Minuten! Noch ein kurzer Blick in den Rückspiegel: Der ganze Aufwand, den ich getrieben habe, ist mir immer noch anzusehen, also zerzause ich mein Haar, aber es will einfach nicht in diesen hübschen Wuschellook fallen - ich hab’s bloß geschafft, daß ich dämlich aussehe, aber jetzt ist es zu spät. Ich steige aus, klopfe an die Tür und tue, als sei ich in den Anblick des Nachthimmels versunken. Es ist eine schöne Nacht: Sterne sind die Sommersprossen von Gott. Dann öffnet Alice die Tür, und der Nachthimmel verblaßt zu dem kalten, langweiligen Pünktchenmuster, das er ist. Welches Sternbild hat schon sanfte Augen und schwarze Haare und Brüste, die einen zum Weinen bringen? Halt den Film an -frier das Bild von ihr ein, so, wie sie jetzt da steht.
    »Hallo!«
    »Hi.«
    Ein knapperer Wortwechsel als meinen schreienden Gefühle lieb ist.
    Alice ist wirklich schön, wissen Sie? Ich mach Ihnen nichts vor. Allein schon ihr Haar — Hunderte weicher, schwarzer Tunnelchen, die sich vier Zentimeter hoch auf ihrem Kopf türmen und ihr ab und zu in herzensbrechenden Kringeln in die Stirn fallen, ja, sie ist Medusas himmlisches Gegenstück. Wenn man Haare wie ihre bei einer vor einem hergehenden Frau sieht, denkt man, Scheiße, von vorn kann sie nicht genauso umwerfend sein, das Gesicht, die Brüste werden einen enttäuschen, bestimmt. Aber wäre es Alice, die vor einem herginge, und man holte sie ein, tja, von Enttäuschung keine Rede, man faßt es einfach nicht, was für ein Gesicht. Wie soll ich Alices Gesicht beschreiben (gucken Sie sich die Sache mit den Haaren an — die trieb mich ja schon an die Grenze meines Wortschatzes)? Ihre Augen sind groß, sehr groß, aber eben nicht zu groß; das heißt, sie sind so groß, wie sie sein können, ohne nach Basedowscher Krankheit auszusehen, also haarscharf an der Grenze. Sie sind braun. Noch nicht genug? Na gut. Sie sind Mahagonisonnen mit schwarz umrandeter Iris. Ihre Nase ist klein, so klein, daß ich mich manchmal frage, wie sie es schafft, ihre Lunge mit Luft zu füllen, ohne hyperzuventilieren. (Ich mag kleine Nasen, was natürlich eine Selbsthaß-Kiste ist.) Ihre Nasenflügel sind leicht nach unten geschwungen, schmiegen sich aber flach auf ihr Gesicht, ohne Spur jener unnötigen Ausbuchtung, in der sich so gern Rotz absetzt. Die flaumlose Wölbung darunter schwingt zu ihrer Oberlippe hinab, die ich nie geküßt habe. Wie ihre Augen sind ihre Lippen voll bis zum Rand, schwappen aber nicht über — im rechten Moment, genau im richtigen, bleiben sie in Halbmondform stehen. Wenn sie lächelt, so wie im Augenblick, zeigt sich ihr einziger Makel, ihre Zähne. Obwohl sehr weiß, sind sie sowohl krumm wie schief - ein zerklüftetes Zickzack, das aussieht wie das Himalajagebirge von weitem. Sie hätte eine Spange tragen sollen, als sie jünger war, aber sie haßte den Aluminiumgeschmack.
    Was kann ich noch sagen? Große Augen. Kleine Nase. Zerklüftete Zähne... sie sieht aus wie Jezebel. Ja, Alice sieht wie Jezebel aus. Nur kratzt sie mir ans Herz statt ins Gesicht.
    Ich gebe ihr den Wein, und sie küßt mich auf die Wange. Ich will nicht zu viel daraus machen. Sie wissen schon, ein Wangenkuß, nichts weiter dabei. Im Geiste messe ich die Zeit des ganzen Vorgangs, vom »Hallo« bis zu der Millisekunde, in der sich unsere Blicke begegnen, als sich ihr Gesicht nach dem Kuß von meinem löst. Zum Teil tue ich das, um später an den Details
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