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77 Tage

77 Tage

Titel: 77 Tage
Autoren: Lucie Flebbe
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Pflegedienstleiterin musterte Danner mit scharfem Blick, doch sein Gesicht blieb weiterhin unbewegt.
    »Selbstverständlich«, nickte Elsbeth van Pels ebenfalls mit Pokerface, zog eine große Geldbörse aus der Innentasche ihrer Jacke und begann, einen grünen Schein nach dem anderen neben den Kaffeebecher auf unseren Couchtisch zu legen.
    Ich riss die Augen auf und sogar Danner legte jetzt interessiert den Kopf schief.
    »Und übernehmen Sie den Auftrag? Herr Danner? Frau Ziegler?«, erkundigte sich Elsbeth van Pels, ohne mit dem Hinblättern der Geldscheine aufzuhören.
    Danner sah zu mir herüber.
    Der Fall versprach Arbeit für ein bis zwei Wochen und sicherte unsere Miete für das nächste halbe Jahr. Ich sah keinen Grund, der dagegen sprach, Molle zum Wiedereinschalten der Heizung zu bewegen.
    Tag 0
    BELLAS BLOG:
    DONNERSTAG, 23.15 UHR
    Es ist Donnerstag. Kurz nach elf.
    Und dies ist mein Hochzeitstag. Ich habe geheiratet. Heute.
    Absurd. In meiner Hochzeitsnacht habe ich nichts Besseres zu tun, als mit dem Tagebuchschreiben zu beginnen.
    In meinem ganzen Leben habe ich noch kein Tagebuch geführt. Mit fünfzehn habe ich mal eines geschenkt bekommen. Ein rosa Büchlein mit Vorhängeschloss am Einband. Ich habe es nicht benutzt. Ich war einfach nicht gut im Schreiben. Und auch nicht besonders sorgfältig. Bin ich bis heute nicht.
    Doch manches ändert sich mit der Zeit. Ich bin jetzt zweiunddreißig. Besitze ein Notebook. Meine Einträge blogge ich im World Wide Web. Mitten in der Nacht werde ich zur anonymen Exhibitionistin.
    Ausgerechnet ich. Lächerlich. Normalerweise bin ich das Gegenteil. Schüchtern. Unauffällig. Spießig wahrscheinlich.
    Aber ich muss das hier loswerden! Sonst laufe ich Amok! Die betrunkenen Hochzeitsgäste unten im Wohnzimmer wären leichte Opfer. Und verdient hätten sie es allesamt.
    Der schönste Tag im Leben. Und ich bin nicht glücklich. Trotzdem erwartet man noch stundenlanges Lächeln von mir.
    Warum bin ich nicht glücklich?
    Weil ich mir meine Hochzeit anders vorgestellt habe.
    Und weil ich vor einem Spiegel sitze. Sogar an meinem Hochzeitstag sehe ich unmöglich aus. Weil ich, wie gesagt, inzwischen zweiunddreißig bin. Ich kann zusehen, wie mein Hintern dicker wird. Meine Brille vergrößert meine Krähenfüße. Und neuerdings habe ich eine Krampfader. Das fehlte mir noch zu meinem Glück. Bisher waren meine Beine das Erfreulichste an meinem Spiegelbild.
    Mein Gesicht und mein Hintern sind zu breit. Ich bin nicht wirklich dick. Aber mein Gesicht und mein Gesäß sehen aus, als hätte ich zwanzig Pfund Übergewicht.
    Und eine wahre Katastrophe sind meine Haare. Sie hängen kraftlos herunter. Wie Spaghetti. Busen habe ich zu wenig. Po, wie gesagt, zu viel. Bleiben die Beine. Womit wir wieder bei der Krampfader wären.
    Mario hat mich nicht wegen meines Sexappeals geheiratet.
    Warum dann? Diese Frage stellen sich sicher die meisten Menschen, die uns kennen. Viele denken, Mario habe sich einfach an mich gewöhnt. Einige Kumpel glaubten bisher, ich würde abends in Strapsen strippen. Ein Irrtum, den meine Mutter vor zehn Minuten aus der Welt geschafft hat.
    Auch für meine Mutter ist meine Ehe ein Rätsel. Bis gestern hatte sie noch Zweifel, ob die Feier tatsächlich stattfinden würde. Dieser Traum von Schwiegersohn will ausgerechnet mich? Sie hat nie viel davon gehalten, ihre Meinung für sich zu behalten. Sie ist einen Kopf kleiner als ich. Wiegt das Doppelte. Und findet es normal, mit einem pinkfarbenen Turban zu meiner Hochzeit zu erscheinen.
    Daran bin ich natürlich selbst schuld. Eine Kleiderordnung hielt ich für überflüssig. Naiverweise. Nach zehn Jahren Beziehung feiern wir im kleinen Kreis. Familie und Freunde. Standesamt heute Morgen. Mittags zum Lieblingsitaliener. Abends Sekt zu Hause.
    Aber meine Mutter kenne ich seit zweiundreißig Jahren. Mit dem Turban hätte ich rechnen können.
    Nicht rechnen konnte ich hingegen mit der Unterhose. Mit spitzen Fingern hat meine Mutter sie aus den Tiefen einer Ritze zwischen den Sofapolstern gezogen. In die sie bei meiner großangelegten Wäschebeseitigungsaktion der letzten Woche geraten sein muss. Die verschiedenfarbigen Trocknerladungen hatten die Couch gefüllt. Und zum Fernsehen hatte ich mich einfach draufgesetzt.
    Ein Fehler, wie mir jetzt im Nachhinein klar ist.
    Warum passieren mir solche Dinge?
    Vielleicht wäre es nicht so schlimm gewesen, hätte es sich um einen durchsichtigen Spitzenstring gehandelt. Aber ich habe
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